Lino Wirag
Der Fickwitz als komikales Kammerkonstrukt
„Il est certain […] que le rire humain est intimement lié à l’accident d’une chute ancienne, d’une dégradation physique et morale“, schreibt Baudelaire. Die Literaturgeschichtsschreibung teilt uns leider nichts darüber mit, ob der syphilitische Poet über die Fickwitze seiner Zeit lachte – und doch wäre Baudelaires Dichtung ohne die knallkomischen Schwanzgesänge des großen Villon nicht denkbar gewesen.
Sicher ist nur: Im 21. Jahrhundert sind Fickwitze sehr, sehr beliebt.
Wahrscheinlich, weil sie sehr, sehr lustig sind.
Dass dieser Umstand auch mit jenem physischen und moralischen Hemmungsabbau zu tun hat, von dem Baudelaire hier im Zusammenhang mit dem menschlichen Gelächter schreibt, überrascht kaum.
Moralisch ungehemmt waren auch die Herren Rattelschneck, als sie in schänderischer, ja schinderischer Weise die Teilnehmer der 3. Kasseler Sommerakademie betr. komisches Zeichnen vor die Aufgabe stellten, sich binnen weniger Stunden so viele lachreizende Sauigeleien wie möglich einfallen zu lassen. Sie lobten dafür nicht mehr als den 1. Kasseler Fickwitzpreis aus – dessen Dokumentation dieser Katalog gewidmet ist.
Wer aber glaubt, auf das Rattelschnecksche Kommando hin sei sogleich an allen Tischen laut losgezotet worden, irrt. Schweigen dünstete herab. Jeder brütete: Wie das jungfräuliche Papier am eindrucksvollsten besudeln? Schon rammten die ersten feuchtglänzenden Filzstifte nieder, perlten Lusttropfen aus den Dachshaarpinseln No. 2, glitten speichelnde Zungen auf schweineschmalzglatten Pointen aus. Bald waren alle Hände und Hirne auf der Suche nach dem Unbegreiflichen, dem Leiblichweiblichen etc., kurz: dem generös schweinösen Jokus. Was aber macht den Fickwitz so verführerisch – von den zwei hellen I-Lauten einmal abgesehen, die grell, geil, ja gleichsam spitz in die Gehörgänge stoßen?
Am vorliegenden wilden Werkwuchs kam man seine hervorragenden Eigenschaften studieren: Der Fickwitz ist ein komikales Kammerkonstrukt, sorgfältig mengt er seine Zutaten in verschiedenen Dosen und Quanten. Er zieht seine Scham- und Schaulust aus verschiedenen Quellen: Er 1.) zeigt, 2.) benennt und 3.) humorisiert das gesellschaftliche Tabuthema Nummer eins: Canasta.
Quatsch: Sexualität.
Die Grundanlage guten Witzhandwerks, der kontextuelle Zusammenprall, wird gegründet auf oder angereichert mit total tabuierten Themen. Der Fickwitz kommt damit den Lustwünschen des Betrachters entgegen, denn in westlichen Gesellschaften wird nichts so gerne belacht wie verbotene Feuchtgebiete. Das hat – zumindest, wenn man Sigmund Freud Glauben schenken will – mit den Entladungs- und Entlastungsstrategien unseres Gehirns zu tun: Je schmutziger ein Thema oder Gedanke, desto mehr gibt es zu abzulachen. Je dicker, je doller. Während das komikfreie Bild des prallen Phalls oder des weichen Vaginals uns (meist) unpassende Körperattraktionen beschert, gewährt der Fickwitz uns die Gnade der gefahrlosen Abfuhr durch Gelächter. Er potenziert Lach- und Lochlust zu gleichsam höherer Blüte.
Deshalb ist der Fickwitz selten ausschließlich pornographisch. Was ohne Pointe aggressiv (so die Beleidigung „du blöde Fotze!“, die keinen Witz enthält) oder aufgeilend (vgl. die Autorenfilmerin M. Schaffrath) wirken müsste, kann beim Fickwitz in sozialer Geselligkeit abgelacht und damit kanalisiert werden: Lieber lachen statt Liebe machen.
Je höher der Triebstau, desto komischer der Witz. Freud schrieb vom „tendenziösen Witz“, der Verbotenes und Verdrängtes ans Tageslicht reißt und so einen hohen Lach- (und damit Lust-)ertrag zeitigt. Die Zote maskierte für Freud dabei nur unsere sexuellen Wunschvorstellungen. Deshalb macht der Fickwitz Gebrauch von den verdrängten oder verhängten Fickwünschen, die in Gesellschaft nicht einmal angesprochen werden dürfen: Gruppenamour, das mystische Erste Mal, masochistische Folterfreuden, die fröhliche Vergewaltigung – und immer wieder Inzest oder verbotene Kinder- und Tierliebe. Die Schocks der Kinderficker und Leichenschänder sind notwendig, um auf die Pointe, das Nicht-Eigentliche der dargestellten Situation zu verweisen.
Das Objekt des Witzes – fast immer die Frau, aber auch Kind oder Tier – muss gedemütigt werden, damit der komische Impuls die erotische Vorstellung, die dem Witz zugrundeliegt, überlagern kann und die Aufmerksamkeit – und Lust – des Zuhörers auf die Pointe und damit auf das Gelächter gelenkt wird. So wird sexuelle Aggression spielerisch in gesellschaftlich akzeptiertes Verhalten verwandelt. Auch unser Katalog bietet für solche Demütigungen reichlich Anschauungsmaterial – nicht zuletzt in den Arbeiten unserer Zeichnerinnen.
Wir witzeln also über das, was wir nicht haben können – aber auch (aus gutem Grund) nicht haben sollen. Dennoch heißt für den Fickwitz „Vergnügtsein“ nicht zwangsläufig „Einverstandensein“ mit allen gesellschaftlichen Tabus, wie es Adorno gerne gehabt hätte. Vergnügtsein heißt hier vielmehr: Geilsein auf höherem, öffentlichem, quasi abstraktem Niveau.
Schon Robert Gernhardt selig wusste: „Das Melodram will Tränen, der Porno Sperma, der Horror das Erbrechen, die Spannung den Schweißausbruch. Die Komik will zweierlei: Entweder soll sich der Mensch vor Lachen bepissen oder Tränen lachen.“ Von der Kombination zweier dieser Körperflüssigkeiten hat Gernhardt zwar geahnt, aber nicht geschrieben. Dabei kann der Fickwitz nach Belieben mit weiteren Elementen der Menschenverachtung (und das meint immer: Komikerzeugung) angereichert werden, die immer höhere Tabu- und damit Lachniveaus garantieren: Gewalt (30), christliche (6) bzw. muselmanische (13) Blasphemie, Inzest (23), Rassismus (18), aber auch akademische Späße wie Selbstrefentialität (5) und Semiotik (28). Dazu kommen verschiedene sexuelle Ab- und Mischarten wie Zoo- (51), Objekto- (54), Pädo- (42), Auto- (19) oder Nekrophilie (34).
So gestattet der Siegerwitz (der Sturzflug von Denis Metz) es dem Betrachter, gleich verschiedene Triebabfuhren abzulachen: die Fick- und die Fresslust, letztlich also die archaische Neigung, den Anderen (kannibalisch oder sexuell) ganz in Besitz zu nehmen. Der grafische Minimalismus blendet die Geschehnisse im Flugzeuginneren bewusst aus und reizt so Vorlust und Phantasie des Betrachters.
Der zweitplatzierte Witz, die Nilpferde in ihrem eigenen Feuchtgebiet, stimmt die Schaulust mit gekonnt dilettantistischer Gebärde auf das folgende Lacherlebnis ein. Unvergesslich die Zwangsverbindung von Gewicht („25 kg“) und Cuntwort, deren harter kontextueller Zusammenprall überraschend und frisch dem Betrachter sich entgegenreckt. Nicht ohne Grund ist die Gewichtsangabe in der Sprechblase gefettet: Hier offenbart sich als sophistication, was auf den ersten Blick wie feile Brunft wirkt.
Ganz gegenteilig verfährt Jakob Schreier, dessen deutliche Vorführung einer potenten Affenkeule, die sich zart hingetuschter Jungfrauenblüte entgegenreckt, die rohe Gewalt des Sexuellen körperlich nacherleben lässt. Die derbsinnliche, fast burleske Körperkomik wird durch die scheinbar lässig aus der Jugendsprache herübergerettete Frivolität „Eng ist ein dehnbarer Begriff, Baby“ ironisch hinterfragt.
Österreichs männlicher Beitrag, Sebastian Kurz, überzeugt mit feiner, abstrakter Gebärde Mahlerscher Prägung, die ihr Scheißesein in Bonbon umzumünzen versteht, das die touristisch tote Etikette „Schmäh“ nicht verdient. Die erotischen Kaprizen einer Lilli Bravo, das Gernhardteske Reimgeringel eines Steven Clements, die groteske Note der Finkensteinschen Bildfindungen, die strichsicheren Phantasien Leonard Riegels oder die Comicstrips des Rellinger Nachwuchsstars Robin Vehrs, der die Rattelschneck-Technik der doppelten Prämisse bereits mit dem Herzen verstanden hat: Jeder Witz dieser Auswahl hat seine eigene komikale Qualität, die ihn unverkennbar macht.
Deshalb ist das Lachen des Fickwitzes nicht, wie Adorno will, „bis heute das Zeichen der Gewalt, der Ausbruch blinder, verstockter Natur“, Erektion nicht Aggression, sondern Luftigkeit, Fassade, Sublimation; kurz: das wunderbar Leichte, das doch – gähn – so unvergleichlich schwer herzustellen ist.