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Komisches, Kritisches, Unerhebliches aus Lino Wirags Text-Bild-Werkstatt. Quasi täglich.

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Lieblingsbild No. 14



Leicht schmierig, leicht schielend. Genauso isses! Foto: Maxi Vollmer

Rülps und Radikal. Mal wieder reinlesen

So:

Wir sehen Charlotte, wie sie auf dem Boden ihres Schlafzimmers sitzt. Das elterliche Haus um sie herum verharrt mit angehaltenem Atem. Und doch: Ein zaghaftes Klopfen touchiert die Türe.
Charlotte hebt den Kopf. Sie trägt ein leichtes Nachtgewand von Hennes & Mauritz zu 19,90 Euro, darunter eine günstige Woolworth-Wäsche. Ihre Haare hat sie mithilfe eines Kugelschreibers zusammengefasst. In ihrer statuarischen Schönheit erinnert sie in diesem Moment an einen praxitelischen Dornauszieher oder ein Klümpchen Schmarrn. Doch davon ahnt sich nichts. Das ist wohl der Running-Gag ihres Lebens.
Zaghaft wird das Tor erbrochen. In dem lichtdurchfluteten Türeck, das sich jetzt in der Wand erbricht, steht ihr Vater. Ein unlieblicher Duft weht vor ihm her, wie das todschwarze Segel, das ein Piratenschiff ankündigt.
Charlotte fasst sich an den Hals, in dem sich bereits aufmerksame Teile ihrer Verdauung entschlossen haben, draußen mal nach dem Rechten zu sehen.
Kind, sagt der miasmatische Vater. Ich habe etwas für dich.
Er öffnet seine schwere, nur wenig von Bierschaum verkrustete Hand, in der ein kleines Kästchen aus schwarzem Samt schlummert.
Vater, sagt Charlotte, voller Dank ersehe ich euer Geschenk. Legt es nur auf der Türschwelle nieder, damit ich es später in aller Ruhe betrachten kann. Schon bin ich von Spannung durchflutet – will mir jedoch die köstliche Vorlust noch einige Tage aufsparen, damit ich sie in vollen Zügen kann kosten.
Doch davon will der dämonische Vater nichts wissen.
Zwar träuft mir deine süße Rede mit bekanntem Duktus ins Ohr, sagt er, doch ist jetzt die Zeit, dies Siegel zu erbrechen und des Inhalts ansichtig zu werden!
Na schön, sagt Charlotte. Gib ma her.
Flink wirft ihr der Vater das glitzernde Etui an die Stirn, Charlotte leicht benommen zurücklassend. Schon hat sie den Kasten erklappt. Zwischen einigen Lagen Klopapier findet sie ein Präsent, wie sie es sich nicht hätte vorstellen können.
So billig, schlecht und kopiert! Und doch ist sie begeistert.
Dank, Vater, Dank!, ruft sie aus voller, schmaler Brust und hindert sich rechtzeitig daran, dem Erzeuger um den Hals zu fallen, der brestgleichen Geruchswand wegen, die sich zwischen ihm und ihr aufgemauert hat.
Um ihn dennoch zu zeigen, wiei sie fühlt, hält sie den Gegenstand hoch, zwischen zwei Fingern eingekeilt wie ein Strohhalm. Er ist klein, elfenbeinfarben und schmal – es ist ein Zahnstocher.
Dem Vater treten jetzt Tränen in die Augen, kommen aber wegen des Schmutzes nicht sehr weit. Charlotte wirft ihm flinkhändig ein Brillenputztuch zu, mit dem sich der Vater einen Scheibenwischerstreifen aus dem Schmutz seines Gesichtes wischt.
Gleich probiert Charlotte den Zahnstocher aus, wir sehen ihn im Mund, in den Lücken auf und ab fahren, hören das reibekuchenartige Geräusch, mit dem er den Grind von den Zähnen hobelt.
Es ist ein Familienerbstück, sagte der Vater jetzt und schnäuzt sich in eine Beutelratte. Ich wollte, dass du ihn bekommst. Du warst in unserer Familie immer die Sauberste.
Charlottes Tränlein fließen, wie’s Bächlein auf der Wiesen.
Sie sagt: Oh, Vater, gepriesen sei dein Name unter der rundgebogenen Kuppel des Himmels, gepriesen dein Arm unter den Armen, gepriesen wie der Pfeffer unter den Gewürzen, denn er gibt allem den richtigen Pepp, Vater.
Der Vater versteht’s nicht, doch nickt trotzdem.

Oder vielleicht so:

Charlotte hatte sich auf dem Gras niedergelassen, das grünschillernd über dem bleichen Erdboden schlief, unter dem sich die verschieden Horizonte der Erdschichten ausbreiteten, Horizonte, sich ausschwelgend aus dünnen Schichten von Laub- oder Nadelstreu, durchsetzt von den Gebeinen kleinerer Nagetiere, die wie helle Punkte aus dem Einerlei der teerbraunen Humussoden herausstachen. Darunter erstreckte sich meeresweit der C-Horizont, das nicht zu fräsende Muttergestein.
Charlotte hatte sich gerade langgemacht, und die Strahlen des Solarzentrums kitzelten ihren fast freigelegten Körper wie Tausende winziger Hände. An ihrem Körper wehte ein leichtes Sommerkleid zu 19,90 aus dem Hause Hennes & Mauritz, und ihren Kopf schmückte ein UV-abweisender Sommerhut, dessen goldene Farbe aufs Schönste mit ihrer schuhcremebraunen Haut konkurrierte.
In ihrem Kopf herrschte wie so die süße Leere, ein Fundus, den sie so häufig für ihre literarischen Arbeiten abschöpfte.
Da trat James Dean aus dem Schatten eines Maulbeerbuchses, der hier den Überschwang seiner Früchte ins Sujet hängen ließ. Er trug einen sanften, dunkelschwarzen Hut auf dem Kopf, vermutlich aus Nappaleder, dessen Enden sich nach oben bogen. Seine Füße steckten in plüschbesetzten Halbstiefeln, und aus dem Mund perlte ihm nichts als süßer Singsang sanftester Streuung.
Guten Morgen, sagte er, wie kam nur je ein Engel oder Teufel auf die Idee, in dieses Tal ein Wesen von so unnatürlicher Schönheit einzubetten?
Fürwahr, fragte Charlotte, wie nur? Sie hatte noch nicht verstanden, dass von ihr die Rede sein sollte.
Der Fremdling lachte, und es klang schön als wie ein Glockenspiel. In seinem Mundwinkel war wie immer eine Zigarette fixiert. Wenn man genau hinsah, erkannte man, dass sie an der Mundaußenseite festgeklebt war.
Charlotte störte das nicht. Sie war geblendet vom eleganten Äußeren des Fremden und der unnatürlich starken Sonneneintrahlung, die sich inzwischen auf die Luminiszenz einer mittleren Solaranlage heraufgepegelt hatte.
James tauchte die Hand in die Tasche und zog sie wieder hervor.
Es glitzelblinkerte zwischen seinen Fingern!
Und schon spielte er wie unabsichtlich mit einem schweren Schmuck, der dem Koh-i-Noor an Farbe und Brillanz in nichts nachstand.
Denn der Fremde war der Teufel und nur gekommen, um sie zu verführen. Charlotte wusste es nicht, ließ es sich aber gefallen.
Nimmst du mich denn mit, fragte Charlotte erregt, an die Gestade der Seen, wo sanfte Rosen blühen, wo immer der Tag sich dem Abend vermählt, und die Sonne stets in einem trunkenen Liebeslied dem Himmel verbunden bleibt?
Wohl nehme ich dich mit, sprach James Dean. Er reckte sich im Licht, und die Strahlen bastelten einen Heiligenschein um sein Haupt. Aber wenn du mir folgst, bleibst du mir gebunden. Kein Fluch und kein Segen können dich wieder in dein altes Leben zurückführen.
Diesen Preis war Charlotte bereit, zu bezahlen.
Wo muss ich unterschreiben? So geschwind brach sich die Frage aus ihr Bahn.
Hier, deutet lächeln und perniziös der James und hielt ihr ein Blatt Papier hin, das ganz aus gelbem Stoff bestand. Das war sicher nicht billig gewesen.

Oder doch so:

Jetzt sehen wir ein Kind aus der Kindergartenpforte treten. Es schreitet langsam, vorsichtig, als müsse es jeden Meter vor sich abmessen. Vielleicht liegt es auch einfach nur daran, dass das Kind in einem weißen Ganzkörperanzug gehüllt ist, der ihm kaum Luft zum Atmen lässt. Ganze Schritte lassen sich darin natürlich nicht machen.
Da Kind ist – Sie ahnen es – die kleine Charlotte. Sie hat sich den antitoxischen, schmutzabweisenden, dabei kaum luftdurchlässigen Anzug aus den Resten alter Wachstuchtischdecken zusammengeschneidert, die sie in der Abstellkammer des Kindergartens gefunden hat. Nun will sie den Anzug einem Praxistest unterziehen. Schon steht sie am Rand des Sandkastens.
Er erscheint ihr als eine grobe, große Wüste, voller Verwehungen, Klüfte, Sandflöhe und Einlagerungen aus Hundekaka. Dort will sie nicht hinein.
Aber sie muss.
Denn schon saust der Fuß iher Erzieherin Minke von oben auf ihren kleinen Hintern hernieder.
Rein jetzt mir dir, du kleine Scheiße, brüllt Minka mit ihrer pädagogisch geprüften Samtstimme. Sie holt eine Zigarette heraus und beginnt, Charlotte ins Gesicht zu rauchen.
Wenn du jetzt nicht schön mit den anderen Kindern spielst, droht sie, dann werde ich dir deinen verfackten Kampfanzug mit Tabaksdampf füllen, bis er dir zu den Ohren wieder rausqualmt. Nachdem er dein Gehirn durchlüftet hat!
Sie drückt die Kippe in Charlottes linkem Ohr aus.
Geht doch, ruft sie dann und gibt Charlotte noch einen Tritt.
Kopfüber stürzt sie in die Schüssel mit dem brodelnden Sand. Schon spürt sie, wie die fiesen Mini-Gesteinskörnchen sich in die Ritzen ihrer Kleidung bohren. Schon haben sie sich bis zu ihrem nackten Arsch durchgefressen!
Herrje!
Wild strampelnd schlägt Charlotte um sich. Kommt ihr denn niemand zu Hilfe?
Todesangst greift sie nach einer Sandschaufel, die auf den wilden Sandwellen dahergetrieben kam, und klammert sich daran fest. Doch, schlupps!, wird ihr die Schaufel auch schon wieder entrissen.
Natürlich von Minka, der Sadistin in der Not.
Die anderen Kinder wollen auch spielen, Charlotte, kannst du das nicht verstehen? Mit diesen Worten tritt sie Charlottes Kopf noch einmal tiefer in den Sandmull hinein, so dass die Haare der kleinen Wunderschriftstellerin vollends von den üblen Kleinsteinen durchwebt werden.
Sie spuckt, sie krault, sie schlägt um sich.
Endlich fassen ihre kindlichkräftigen Hände ein dahertreibendes Stück Holz, an dem sie sich nach oben ziehen kann. Letztkräftig zieht sie sich über den Rand des Sandkastens. Unter dem rauen Gaumen hervor muss sie eine große Menge Sands abgeben, der sich in kleinen Klümpchen auf dem gesimsartigen Umlauf des Kastens ablagert.
Dann hebt sie den Blick.
Was sie erblickt, gefällt ihr nicht. Überhaupt nicht.
Die anderen Kinder haben sich in einer Art Schlachtformation rund um den Kasten aufgestellt. Sie sind mit kleinen Speeren aus Haselholzruten und Schilden aus Plastikreifen bewaffnet.

Im Netz

Bei litradio gibt es jetzt eine beeindruckende Quicklesung von Für immer in Honig von Dath und Platthaus, außerdem hat das Pächterhaus jetzt endlich eine schöne Homepage bekommen.

Lyrik

Altes Neues von Bonifatius Kiesewetter (2)

Die Baronin patscht die Hände
zueinander und sagt an,
dass auf klangliche Ergötzung
jeder nun sich freuen kann:
Doch der Violinenmeister
krankt an einem Handgeflecht!

Boni hilft, gekonnt entreißt er
ihm den Bogen. Sein Geschlecht
fischt er aus den Taschentiefen
und spielt auf dem Schamhaar-String.
Schließlich reißen ihm die Saiten.
Er verlässt das Happening.

Moral und christliche Nutzanwendung:

Nicht jeder liebt, statt Geigenchören
dem Schrei der Filzlaus zuzuhören.

(EVÖ 26.7.06, 02:21)

Und so geht's weiter:



Plakatgestaltung: L.W.

Litradio

... bringt einen tollen Beitrag zur neuen Landpartie 09 (u.a. mit Texten von Til Strasser).

Am Dienstag

... sind wir hier!

Die schöne Homepage

... des Pforzheimer Leseladens, wo Tilman Straßer und L.W. am Freitag lesen.

Lino Wirags interessantes graphisches Magazin #2

Obwohl sich die Deutsche Nationalbibliothek weigert, eine ISSN für das extravagante Folgeperiodikum "Lino Wirags interessantes graphisches Magazin" auszustellen, erscheint jetzt komplett online und umsonst die zweite von zwei Nummern, wie immer voll mit Wunderlichkeiten, Privatismen und viel, viel Grafik. Ach so: Zeit mitbringen. 64 Seiten.



Das Praktische: Die Daten werden in 2 Monaten automatisch gelöscht. Exemplar sichern, solange es noch da ist.

Die Landpartie 09

... ist wie immer schneller als ihr Ruf: schöne Homepage, schönes Buch, schöne Frauen (auch immer gut).
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