...
Wirtschaftsmagie (AT)
Die Autos zischten so nah an dem schmalen Bürgersteig vorbei, dass der Luftzug an seinem Jackett riss. Johannes hatte sich extra eine Krawatte aus Vaters Schrank geholt, jetzt drückte der schwarze Knoten unangenehm auf seinen Adamsapfel. Er blickte noch einmal an der Waschbetonfassade des Hochhauses hinauf: achtzig Meter über ihm wischte ein Streifen blauer Himmel vorbei, der es geschafft hatte, sich zwischen die Gebäudeklötze der Innenstadt zu quetschen. Hier war kein Leben, hier war Wirtschaft, dachte Johannes: die kalte Welt des Kapitals.
Und hier war die Firma, zweifellos war hier die Firma, die ihm Eintritt in genau diese Welt verschaffen sollte. Das Messingschild glitzerte, die eingeprägten Frakturbuchstaben wirkten seltsam unzeitgemäß. Den Schriftzug Dr. Arnold Hau, Wirtschaftsmagie fand Johannes jetzt, da er ihm nicht mehr aus der Zeitungsanzeige entgegenstarrte, unwirklich. Der Klingelknopf vibrierte unter seinem Zeigefinger, irgendwo im 13. Stock schrillte jetzt eine Glocke. Linda würde Augen machen, wenn das hier funktionierte.
Einmal war ihr das Heft mit althochdeutschen Vokabeln vom Tisch gerutscht, Johannes war hektisch unter den Tisch getaucht – hatte seinen Kopf gegen die Platte gehämmert –, und als er ihr das Heft wieder zuschob, hätten sich ihre Hände berührt. Sie hatte Danke geflüstert, zart wie der Windhauch, von dem in dem althochdeutschen Gedicht die Rede war, über das an der Tafel gesprochen wurde. An diesem Danke wärmte Johannes sich noch immer. Es war das Einzige, was Linda jemals zu ihm gesagt hatte.
Im dreizehnten Stock waren die Flurwände gelb verschwammt, und als er den Gang hinuntergegangen war, gerade dachte, er hätte Dr. Haus Büro vielleicht übersehen, erschien am Ende des Flurs, seitlich in eine Nische gedrückt, eine letzte Tür, schmal wie ein CD-Regal aus dem Möbelhaus. Das ist der Besenschrank, dachte Johannes, aber auf einer Plakette im Türrahmen stand eindeutig: Dr. Hau. Das ist der Besenschrank, dachte Johannes noch einmal und hatte die Klinke schon in der Hand, die Tür glitt mit leisem Ächzen auf, ein langer Gang, viel heller und breiter als der dustere Hausflur. Johannes schüttelte den Kopf. Wie konnte ein so großes Büro in diese Gebäudeecke passen? Vor seinen Füßen: ein Teppichvorleger mit der Aufschrift Hexerei ist keine Kunst, und plötzlich eine Stimme, wie aus dem Nichts: „Kommen Sie bitte in mein Sprechzimmer.“
Zwanzig Sekunden später saß er Dr. Hau gegenüber.
Die Unterkante seiner hohen Stirn wurde von zwei zugefeilten Augenbrauen markiert, die Goldrandbrille darunter ein gleißender Spiegel, hinter dem die Augen des Doktors nicht zu sehen waren. Wenige, dunkle Haare wieselten hinter dem Kopf hervor.
Die Gardinen vor den Fenstern waren halb zugezogen, steif wie Stoffservietten und buttergelb, gesättigt von den Rauchgirlanden, die sich unablässig aus Dr. Haus Zigarillo wanden. Johannes wusste nicht, was er erwartet hatte, eine Mischung aus Steuerkanzlei und okkultem Buchladen vielleicht, aber sicherlich mehr Spinnweben, Traumfänger und ausgestopfte Tiere. Hier dagegen: überall Chromflächen, hin und wieder mit einer Reihe dekorativer Nieten verstanzt. Die Krawatte drückte, seine Achseln liefen feucht an, der Raum war völlig überheizt. Nichts hier ließ an Zauberei oder schwarzkünstlerische Praktiken denken, bis auf den Aschenbecher aus Ton auf dem Schreibtisch, verziert mit Büroklammern, offenbar von Hand zu winzigen Drudenfüßen verbogen. Der Doktor, erinnerte sich Johannes später, hatte während des Gesprächs nicht ein einziges Mal abgeascht.
„Was führt Sie zu mir?“ Goldrand funkelte, Zigarillospitzenzischen. Johannes schluckte am Krawattenknoten vorbei.
„Also, ich, jetzt wo ich grade mit dem Studium fertig bin“, haspelte er, „als Geisteswissenschaftler – und der Arbeitsmarkt bietet natürlich nicht allen die gleichen Chancen –“
„Wie kann ich Ihnen da behilflich sein?“ Dr. Haus Brillengläser blitzten wie Fragezeichen.
„Ich hab gedacht, Sie könnten mir vielleicht helfen“, Johannes starrte an die Decke, wo hinter einem Grillrost eine rote Lampe strahlte, „ein wenig abzukürzen.“
„Ist das so?“ Die Zigarillospitze leuchtete wie ein Glühwürmchen.
„So wie in Ihrer Annonce.“
„Karrierehexerei – Leistungszauber – Geldmarkthokuspokus. Wirtschaftsmagie: Der schnelle und saubere Weg zum Erfolg“, wiederholte Dr. Hau den Text seiner Anzeige und ergänzte lächelnd: „Sondertarife für Studenten.“
„Und“, Johannes sah sich vorsichtig um, ob vielleicht doch noch ein Amulett neben den Diplomen an der Wand auftauchte, „wie muss ich mir das vorstellen? – Was Sie da machen?“
„Sehen Sie“, Dr. Hau legte die Hände aneinander und produzierte ein paar bewundernswerte Rauchringel, „das klassische Bild von Hexerei trifft ja heutzutage nicht mehr zu. Mit dieser – verzeihen Sie den Ausdruck – Lebkuchenhausscheiße haben zeitgemäße Dienstleistungsunternehmen nichts mehr zu tun. Genauso wenig wie mit Mondwasser, Fluchtafeln, Gläserrücken und ähnlichem Firlefanz.“ Der Wirtschaftsmagier trank einen tiefen Zigarillozug. „Wir bieten Geschäftserleichterungen für Geschäftsmänner.“ Dr. Hau sah Johannes an. „Das wollen Sie doch sein: ein Geschäftsmann.“
„Jaja“, nickte der junge Mann.
Vor allem wollte er Linda. Drei Monate hatte er neben ihr im Seminar über die Miniaturmalerei in vergessenen Liederhandschriften gesessen, ihre dunklen Haare wie einen Vorhang neben sich, ein Vorhang, an den er nie zu rühren gewagt hatte. Immer nur ihr Duft, der sich zu ihm hinüberstahl, wie Lammragout zugleich lieblich und herb. Ihre Emailadresse, aus der Teilnehmerliste abgeschrieben, war alles, was von ihr übrig war, und er verwahrte die kostbare Buchstabenfolge, die mit lindaleather84 anhob, wie einen Schatz. Er wollte sich nicht wieder bei ihr melden, hatte er sich geschworen, bevor er es nicht in der Welt zu etwas gebracht hatte.
„Dann bin ich sicher, dass wir uns einig werden.“
Wer hatte gesprochen? Johannes blickte auf: mitten in das gelbe Lächeln des Doktors. Rauch ringelte sich wie ein verklebtes Spinnennetz zwischen seinen Zähnen hindurch, der Zigarillo war nicht einen Millimeter kürzer geworden war.
„Haben Sie schon genauere Vorstellungen?“, fragte der Doktor jetzt.
Johannes errötete leicht, vielleicht nur die Hitze, und popelte einen Zettel aus der Gesäßtasche, den er in der U-Bahn vorbereitet hatte. „Position in leitender Stellung“, las er vor. „Viel Geld, viel Verantwortung.“ Hau nickte. „Eigene Sekretärin.“ Hau nickte. „Viel Reputation Schrägstrich Prestige.“ Hau nickte noch einmal.
„Sie haben Glück“, sagte der Doktor, „gerade sind Humanressourcen verfügbar geworden, um ihre Vorstellungen zu realisieren.“ Zigarilloqualm stand dick und dunkel unter der Decke.
„Und wie – wie geht das?“ Johannes’ Augen tränten, er klammerte sich an die Tischkante.
„Ein paar Geheimnisse“, die Brille des Doktors flimmerte wie ein Blinzeln, „muss unser Unternehmen für sich behalten.“ Der Tabakrauch dampfte jetzt von der Zigarillospitze wie aus einem Kaminschlot, Johannes begann zu husten.
„Und was kosten mich ihre Dienste?“, brachte er hervor.
„In diesem Fall: nichts, da wir auf Tauschbasis arbeiten.“ Dr. Hau lächelte. „Jemand anderes wird ihre Position einnehmen. Sofern Sie einverstanden sind.“
„Selbst-ver-ständlich“, hustete Johannes. Wer war schon so dumm, mit ihm zu tauschen, einem Fünfundzwanzigjährigen, der im Leben nichts erreicht hatte? Und schon gar keine Linda für sich interessiert! Johannes bekam kaum noch Luft.
„So sei es.“ Das Zigarillo-Auge glotzte so rot wie giftig, alles war Qualm, war Rauch, schwarz und schwer, Johannes konnte nichts mehr erkennen, nicht mehr atmen, seine Hände tasteten blind, das Zigarillo-Auge blinkte wie das Markierungslicht eines Flugzeugs im Herbstnebel. „Auf Wiedersehen“, hörte er noch. Dann war es still.
Johannes blinzelte.
Der Nebel begann, sich zu lichten.
Die Kanzlei des Wirtschaftsmagiers … war auf einmal verschwunden – : – dafür war ein anderes Büro aufgetaucht.
Und Johannes saß jetzt da, wo eben noch Dr. Hau gesessen hatte: hinter dem Schreibtisch. Es hat funktioniert. Mehr konnte er nicht denken. Es hat tatsächlich funktioniert! Weich federte Chefsesselleder in seinem Rücken, Armpolster schmiegten sich an seine Haut. Die Tischplatte erstreckte sich weiter, als seine Hände reichten – als sich auch schon die Bürotür öffnete. Eine Dame stürzte herein: in Form und Farbe eine Anananas. Wortlos ließ sie einen Stapel Papiere auf Johannes’ Schreibtisch fallen. Er starrte die Ananas an; selbst ihr Parfüm hatte eine exotische Note. Sicher handelte es sich um die versprochene Sekretärin.
„Äh“, fragte er, „wie war noch mal Ihr Name?“
Die Frau glotzte ihn an – „Sie sind heute gut gelaunt, Chef!“ –, hämmerte ihm lachend ihre Hand auf die Schulter, schwer wie eine Suppenkelle. Zeigte auf den Papierstapel. „Das Zeug soll heute Nachmittag raus.“
Dann war sie verschwunden.
Furchtsam blätterte Johannes durch den weißen Berg, den sie ihm hinterlassen hatte. Er verstand fast nichts. Nur unten, neben dem Datum, tauchte immer wieder der gleiche Name auf: Marc-Antoine Debauche stand da, und daneben: Geschäftsführer Deutsche Werth GmbH. Überall fehlten Unterschriften. Das musste sein Name sein.
Es hat funktioniert, dachte er zum letzten Mal und zog hastig Unterschriftenlinien. Er war nicht mehr der Niemand mit wertlosem Universitätsabschluss, sondern der Chef eines der wichtigsten und einflussreichsten Unternehmen des Landes! In seinem Bauch explodierte eine Silvesterrakete. Johannes ließ seinen Sessel rotieren, und entdeckte, dass sich hinter seinem Rücken eine Großstadt erstreckte, von ihm nur durch meterhohe Glasscheiben getrennt. Wow! Die Stadt lag ihm wortwörtlich zu Füßen. Wer hatte so eine Position schon aufgeben wollen, um mit ihm zu tauschen? So ein Trottel.
Die Sonne sprang durch ein Wolkenloch, als wolle sie ihm zuzwinkern, und in der Reflexion des Glases vor ihm erschien ein Gesicht. Wie Johannes sich verändert hatte! Die Wangen hingen bedenklich herab, die Haare waren schütter geworden, die Nase geschwollen. Das war nicht mehr sein Gesicht, das ihn da aus dem Glas anstarrte. Es war das von Marc-Antoine Debauche, Geschäftsführer der Deutschen Werth GmbH. Ein Schauer zickzackte über seinen Rücken.
Den Rest des Tages nahm er sich frei. Das Unternehmen beschäftigte auch einen Vize-Geschäftsführer namens Petersen, begierig darauf, an den Krumen zu naschen, die vom Tisch des Chefs fielen. Johannes bezahlte ein Vier-Gänge-Menü im besten Restaurant der Stadt mit der schwarzen American Express Card, die er in seiner Jackettasche gefunden hatte; an der Rezeption des Astoria wies man ihm umstandslos die Luxus-Suite zu. Kurz bevor er einschlief, wischte ihm noch ein Name durch den Kopf, ein Frauenname, lieblich und herb zugleich, aber da war Marc-Antoine Debauche schon eingeschlafen. Am nächsten Morgen ließ sich Johannes ein entspannendes Bad ein und dann mit dem Taxi ins Büro chauffieren.
Vor seinem Schreibtisch erwartete ihn ein kleiner Mann mit rotem Gesicht.
Nanu, dachte Johannes, noch ein Lakai? Er gab ihm nicht die Hand.
„Haben Sie gestern einen Vertrag mit der MegaHolding aus Chigaco unterschrieben?“, fragte der Mann mit dem roten Gesicht.
„Wer sind Sie noch mal?“, fragte Johannes zögerlich.
„Sie wissen, dass ich den Aufsichtsrat dieses Unternehmens vertrete.“ Der Kleine begann, ein Muster in den Teppich zu laufen. „Haben Sie den Vertrag unterschrieben oder nicht?“
„Ich habe gestern“, Johannes stockte, „ganz schön viel Papiere bearbeitet; was da jetzt en detail –“
„Die Frage war rhetorisch“, unterbrach ihn der andere. „Ich habe Ihre Unterschrift ja selbst gesehen. Schockiert gesehen! Alle waren schockiert! Dass Ihnen so ein Fehler unterlaufen konnte. Wir haben Sie für einen besseren Strategen gehalten, als wir Ihnen den Jon anboten.“
„Aha“, entgegnete Johannes nur.
„Eine komplette Konzernsparte einfach so zu verkaufen – und das, ohne Rücksprache zu halten!“
„Ach so?“
„Und dann noch diesen Kretin von Petersen hier alleinlassen!“ Die Stimme des Mannes vom Aufsichtsrat war sehr laut geworden. „Der noch nicht mal seine Schuhe alleine zubinden kann.“
„Das – das wusste ich nicht“, stammelte Johannes und wünschte sich seine Hotelbadewanne zurück.
„Sie sind entlassen!“, rief der Mann. „Mit dem Geld, das wir in den nächsten Monaten an Ihnen sparen, können wir wenigstens die Zinsen der Verluste, die Sie uns eingebracht –“
Die Tür flog auf, die Sekretärinnen-Ananas kam hereingestürzt.
„Schlimme Neuigkeiten“, rief sie und schwenkte ein Blatt Papier, „die Weltwirtschaftskrise hat Ihre Aktiendepots erreicht, Herr Geschäftsführer.“
„Ex-Geschäftsführer“, sagte der Mann vom Aufsichtsrat.
„Der Wert ihrer Einlagen ist fast auf Null gefallen, und mit den paar Tausend, die noch dawaren, ist Ihr Anlageberater durchgebrannt.“ Sie drückte ihm das Papier in die Hand. „Sie sind pleite.“ An der Tür drehte sie sich noch einmal um. „Ach so, Ihre Frau hat angerufen.“ Sie zwinkerte obszön. „Sie will endlich die Scheidung.“
Johannes stand wie vom Blitz getroffen. Der Mann vom Aufsichtsrat ging grußlos zur Tür, und als er sie aufzog, hörte Johannes ihn leise lachen. Schon wieder klopfte es, und die Ananas schob noch einmal ihren Kopfstrunk herein: „Draußen warten noch zwei Herren, die Sie gerne sehen möchten, Herr Ex-Geschäftsführer.“
„Sollen reinkommen“, sagte Johannes matt.
Die zwei Männer trugen graue Anzüge, und freundlich sahen sie nicht aus. Mit zwei schnellen Handgriffen hatte der eine Johannes die Arme auf den Rücken gedreht, der andere hielt ihm einen glänzenden Ausweis vors Gesicht. „Steuerbehörde. Sie kommen mit uns.“
„Jetzt?“
„Jetzt.“
„Was – was habe ich denn verbrochen?“, rief Johannes, als er zur Tür gezerrt wurde.
„Das wissen Sie sehr genau, Herr Debauche“, sagte der eine und riss brutal an Johannes’ Arm. „In ihrem Alter können Sie froh sein, wenn Sie noch mal das Licht der Sonne sehen, bevor Sie wieder aus dem Knast kommen.“
„An Ihrer Stelle“, sagte der andere, da waren Sie schon im Aufzug, „würde ich mir eine Tüte über den Kopf ziehen. Die Aktionäre, die da unten auf Sie warten, sind wütend. Ziemlich wütend.“
„Und sie haben Tomaten dabei. Viele Tomaten.“
Als der Wagen der Steuerbehörde durch das Mittagsleuchten der Stadt glitt, starrte er nach draußen. Sein Hemd war ketchupverklebt. Alles war so schnell gegangen. Sie hielten an einer roten Ampel, die Auspuffgase schrieben Schleier in die Luft, und durch die Fensterscheiben starrte Marc-Antoine Debauche auf die Stühle eines Straßencafés.
Blinzelte heftig. Der Mann, der mit dem Rücken zu ihm an einem der Tische saß, in der Hessischen Zeitung blätternd, hatte eine Goldrandbrille auf, das Gestell funkelte grell, zwischen seinen Kinnladen ein Zigarillo, und vor ihm auf dem Tisch: ein klumpiger Aschenbecher aus Ton, an dessen Rändern es metallen glitzerte.
Marc-Antoine Debauche fuhr herum.
„Anhalten!“, rief er.
Aber die Beamten lachten nur. Sie hielten erst wieder an der nächsten Ampel, und Marc-Antoine Debauche blickte hinaus in einen Park.
Und sah sich selbst.
Ja, sich selbst sah er da sitzen, das Gesicht, das einmal seines gewesen war, dieses Gesicht lächelte jetzt, und Marc-Antoine Debauche sah eine Picknickdecke, Rotweingläser, die Sonne blinzelte noch immer, und neben dem jungen Mann saß eine junge Frau auf der Picknickdecke, die Ampel schaltete auf Grün, Debauche konnte das Gesicht der jungen Frau nicht erkennen, als der Wagen anfuhr, ihr Gesicht nicht erkennen, er hatte nur die Haare gesehen, einen Vorhang aus Haaren; und ein Duft stahl sich durch die Lüftung des Wagens, nicht Benzindämpfe, sondern etwas anderes: lieblich und herb zugleich.
Er wollte so sehr, dass sie den Kopf nach ihm umdrehte, er hämmerte gegen das Wagenfenster, er schrie, aber sie wollte sich. Einfach nicht. Umdrehen.
Die Autos zischten so nah an dem schmalen Bürgersteig vorbei, dass der Luftzug an seinem Jackett riss. Johannes hatte sich extra eine Krawatte aus Vaters Schrank geholt, jetzt drückte der schwarze Knoten unangenehm auf seinen Adamsapfel. Er blickte noch einmal an der Waschbetonfassade des Hochhauses hinauf: achtzig Meter über ihm wischte ein Streifen blauer Himmel vorbei, der es geschafft hatte, sich zwischen die Gebäudeklötze der Innenstadt zu quetschen. Hier war kein Leben, hier war Wirtschaft, dachte Johannes: die kalte Welt des Kapitals.
Und hier war die Firma, zweifellos war hier die Firma, die ihm Eintritt in genau diese Welt verschaffen sollte. Das Messingschild glitzerte, die eingeprägten Frakturbuchstaben wirkten seltsam unzeitgemäß. Den Schriftzug Dr. Arnold Hau, Wirtschaftsmagie fand Johannes jetzt, da er ihm nicht mehr aus der Zeitungsanzeige entgegenstarrte, unwirklich. Der Klingelknopf vibrierte unter seinem Zeigefinger, irgendwo im 13. Stock schrillte jetzt eine Glocke. Linda würde Augen machen, wenn das hier funktionierte.
Einmal war ihr das Heft mit althochdeutschen Vokabeln vom Tisch gerutscht, Johannes war hektisch unter den Tisch getaucht – hatte seinen Kopf gegen die Platte gehämmert –, und als er ihr das Heft wieder zuschob, hätten sich ihre Hände berührt. Sie hatte Danke geflüstert, zart wie der Windhauch, von dem in dem althochdeutschen Gedicht die Rede war, über das an der Tafel gesprochen wurde. An diesem Danke wärmte Johannes sich noch immer. Es war das Einzige, was Linda jemals zu ihm gesagt hatte.
Im dreizehnten Stock waren die Flurwände gelb verschwammt, und als er den Gang hinuntergegangen war, gerade dachte, er hätte Dr. Haus Büro vielleicht übersehen, erschien am Ende des Flurs, seitlich in eine Nische gedrückt, eine letzte Tür, schmal wie ein CD-Regal aus dem Möbelhaus. Das ist der Besenschrank, dachte Johannes, aber auf einer Plakette im Türrahmen stand eindeutig: Dr. Hau. Das ist der Besenschrank, dachte Johannes noch einmal und hatte die Klinke schon in der Hand, die Tür glitt mit leisem Ächzen auf, ein langer Gang, viel heller und breiter als der dustere Hausflur. Johannes schüttelte den Kopf. Wie konnte ein so großes Büro in diese Gebäudeecke passen? Vor seinen Füßen: ein Teppichvorleger mit der Aufschrift Hexerei ist keine Kunst, und plötzlich eine Stimme, wie aus dem Nichts: „Kommen Sie bitte in mein Sprechzimmer.“
Zwanzig Sekunden später saß er Dr. Hau gegenüber.
Die Unterkante seiner hohen Stirn wurde von zwei zugefeilten Augenbrauen markiert, die Goldrandbrille darunter ein gleißender Spiegel, hinter dem die Augen des Doktors nicht zu sehen waren. Wenige, dunkle Haare wieselten hinter dem Kopf hervor.
Die Gardinen vor den Fenstern waren halb zugezogen, steif wie Stoffservietten und buttergelb, gesättigt von den Rauchgirlanden, die sich unablässig aus Dr. Haus Zigarillo wanden. Johannes wusste nicht, was er erwartet hatte, eine Mischung aus Steuerkanzlei und okkultem Buchladen vielleicht, aber sicherlich mehr Spinnweben, Traumfänger und ausgestopfte Tiere. Hier dagegen: überall Chromflächen, hin und wieder mit einer Reihe dekorativer Nieten verstanzt. Die Krawatte drückte, seine Achseln liefen feucht an, der Raum war völlig überheizt. Nichts hier ließ an Zauberei oder schwarzkünstlerische Praktiken denken, bis auf den Aschenbecher aus Ton auf dem Schreibtisch, verziert mit Büroklammern, offenbar von Hand zu winzigen Drudenfüßen verbogen. Der Doktor, erinnerte sich Johannes später, hatte während des Gesprächs nicht ein einziges Mal abgeascht.
„Was führt Sie zu mir?“ Goldrand funkelte, Zigarillospitzenzischen. Johannes schluckte am Krawattenknoten vorbei.
„Also, ich, jetzt wo ich grade mit dem Studium fertig bin“, haspelte er, „als Geisteswissenschaftler – und der Arbeitsmarkt bietet natürlich nicht allen die gleichen Chancen –“
„Wie kann ich Ihnen da behilflich sein?“ Dr. Haus Brillengläser blitzten wie Fragezeichen.
„Ich hab gedacht, Sie könnten mir vielleicht helfen“, Johannes starrte an die Decke, wo hinter einem Grillrost eine rote Lampe strahlte, „ein wenig abzukürzen.“
„Ist das so?“ Die Zigarillospitze leuchtete wie ein Glühwürmchen.
„So wie in Ihrer Annonce.“
„Karrierehexerei – Leistungszauber – Geldmarkthokuspokus. Wirtschaftsmagie: Der schnelle und saubere Weg zum Erfolg“, wiederholte Dr. Hau den Text seiner Anzeige und ergänzte lächelnd: „Sondertarife für Studenten.“
„Und“, Johannes sah sich vorsichtig um, ob vielleicht doch noch ein Amulett neben den Diplomen an der Wand auftauchte, „wie muss ich mir das vorstellen? – Was Sie da machen?“
„Sehen Sie“, Dr. Hau legte die Hände aneinander und produzierte ein paar bewundernswerte Rauchringel, „das klassische Bild von Hexerei trifft ja heutzutage nicht mehr zu. Mit dieser – verzeihen Sie den Ausdruck – Lebkuchenhausscheiße haben zeitgemäße Dienstleistungsunternehmen nichts mehr zu tun. Genauso wenig wie mit Mondwasser, Fluchtafeln, Gläserrücken und ähnlichem Firlefanz.“ Der Wirtschaftsmagier trank einen tiefen Zigarillozug. „Wir bieten Geschäftserleichterungen für Geschäftsmänner.“ Dr. Hau sah Johannes an. „Das wollen Sie doch sein: ein Geschäftsmann.“
„Jaja“, nickte der junge Mann.
Vor allem wollte er Linda. Drei Monate hatte er neben ihr im Seminar über die Miniaturmalerei in vergessenen Liederhandschriften gesessen, ihre dunklen Haare wie einen Vorhang neben sich, ein Vorhang, an den er nie zu rühren gewagt hatte. Immer nur ihr Duft, der sich zu ihm hinüberstahl, wie Lammragout zugleich lieblich und herb. Ihre Emailadresse, aus der Teilnehmerliste abgeschrieben, war alles, was von ihr übrig war, und er verwahrte die kostbare Buchstabenfolge, die mit lindaleather84 anhob, wie einen Schatz. Er wollte sich nicht wieder bei ihr melden, hatte er sich geschworen, bevor er es nicht in der Welt zu etwas gebracht hatte.
„Dann bin ich sicher, dass wir uns einig werden.“
Wer hatte gesprochen? Johannes blickte auf: mitten in das gelbe Lächeln des Doktors. Rauch ringelte sich wie ein verklebtes Spinnennetz zwischen seinen Zähnen hindurch, der Zigarillo war nicht einen Millimeter kürzer geworden war.
„Haben Sie schon genauere Vorstellungen?“, fragte der Doktor jetzt.
Johannes errötete leicht, vielleicht nur die Hitze, und popelte einen Zettel aus der Gesäßtasche, den er in der U-Bahn vorbereitet hatte. „Position in leitender Stellung“, las er vor. „Viel Geld, viel Verantwortung.“ Hau nickte. „Eigene Sekretärin.“ Hau nickte. „Viel Reputation Schrägstrich Prestige.“ Hau nickte noch einmal.
„Sie haben Glück“, sagte der Doktor, „gerade sind Humanressourcen verfügbar geworden, um ihre Vorstellungen zu realisieren.“ Zigarilloqualm stand dick und dunkel unter der Decke.
„Und wie – wie geht das?“ Johannes’ Augen tränten, er klammerte sich an die Tischkante.
„Ein paar Geheimnisse“, die Brille des Doktors flimmerte wie ein Blinzeln, „muss unser Unternehmen für sich behalten.“ Der Tabakrauch dampfte jetzt von der Zigarillospitze wie aus einem Kaminschlot, Johannes begann zu husten.
„Und was kosten mich ihre Dienste?“, brachte er hervor.
„In diesem Fall: nichts, da wir auf Tauschbasis arbeiten.“ Dr. Hau lächelte. „Jemand anderes wird ihre Position einnehmen. Sofern Sie einverstanden sind.“
„Selbst-ver-ständlich“, hustete Johannes. Wer war schon so dumm, mit ihm zu tauschen, einem Fünfundzwanzigjährigen, der im Leben nichts erreicht hatte? Und schon gar keine Linda für sich interessiert! Johannes bekam kaum noch Luft.
„So sei es.“ Das Zigarillo-Auge glotzte so rot wie giftig, alles war Qualm, war Rauch, schwarz und schwer, Johannes konnte nichts mehr erkennen, nicht mehr atmen, seine Hände tasteten blind, das Zigarillo-Auge blinkte wie das Markierungslicht eines Flugzeugs im Herbstnebel. „Auf Wiedersehen“, hörte er noch. Dann war es still.
Johannes blinzelte.
Der Nebel begann, sich zu lichten.
Die Kanzlei des Wirtschaftsmagiers … war auf einmal verschwunden – : – dafür war ein anderes Büro aufgetaucht.
Und Johannes saß jetzt da, wo eben noch Dr. Hau gesessen hatte: hinter dem Schreibtisch. Es hat funktioniert. Mehr konnte er nicht denken. Es hat tatsächlich funktioniert! Weich federte Chefsesselleder in seinem Rücken, Armpolster schmiegten sich an seine Haut. Die Tischplatte erstreckte sich weiter, als seine Hände reichten – als sich auch schon die Bürotür öffnete. Eine Dame stürzte herein: in Form und Farbe eine Anananas. Wortlos ließ sie einen Stapel Papiere auf Johannes’ Schreibtisch fallen. Er starrte die Ananas an; selbst ihr Parfüm hatte eine exotische Note. Sicher handelte es sich um die versprochene Sekretärin.
„Äh“, fragte er, „wie war noch mal Ihr Name?“
Die Frau glotzte ihn an – „Sie sind heute gut gelaunt, Chef!“ –, hämmerte ihm lachend ihre Hand auf die Schulter, schwer wie eine Suppenkelle. Zeigte auf den Papierstapel. „Das Zeug soll heute Nachmittag raus.“
Dann war sie verschwunden.
Furchtsam blätterte Johannes durch den weißen Berg, den sie ihm hinterlassen hatte. Er verstand fast nichts. Nur unten, neben dem Datum, tauchte immer wieder der gleiche Name auf: Marc-Antoine Debauche stand da, und daneben: Geschäftsführer Deutsche Werth GmbH. Überall fehlten Unterschriften. Das musste sein Name sein.
Es hat funktioniert, dachte er zum letzten Mal und zog hastig Unterschriftenlinien. Er war nicht mehr der Niemand mit wertlosem Universitätsabschluss, sondern der Chef eines der wichtigsten und einflussreichsten Unternehmen des Landes! In seinem Bauch explodierte eine Silvesterrakete. Johannes ließ seinen Sessel rotieren, und entdeckte, dass sich hinter seinem Rücken eine Großstadt erstreckte, von ihm nur durch meterhohe Glasscheiben getrennt. Wow! Die Stadt lag ihm wortwörtlich zu Füßen. Wer hatte so eine Position schon aufgeben wollen, um mit ihm zu tauschen? So ein Trottel.
Die Sonne sprang durch ein Wolkenloch, als wolle sie ihm zuzwinkern, und in der Reflexion des Glases vor ihm erschien ein Gesicht. Wie Johannes sich verändert hatte! Die Wangen hingen bedenklich herab, die Haare waren schütter geworden, die Nase geschwollen. Das war nicht mehr sein Gesicht, das ihn da aus dem Glas anstarrte. Es war das von Marc-Antoine Debauche, Geschäftsführer der Deutschen Werth GmbH. Ein Schauer zickzackte über seinen Rücken.
Den Rest des Tages nahm er sich frei. Das Unternehmen beschäftigte auch einen Vize-Geschäftsführer namens Petersen, begierig darauf, an den Krumen zu naschen, die vom Tisch des Chefs fielen. Johannes bezahlte ein Vier-Gänge-Menü im besten Restaurant der Stadt mit der schwarzen American Express Card, die er in seiner Jackettasche gefunden hatte; an der Rezeption des Astoria wies man ihm umstandslos die Luxus-Suite zu. Kurz bevor er einschlief, wischte ihm noch ein Name durch den Kopf, ein Frauenname, lieblich und herb zugleich, aber da war Marc-Antoine Debauche schon eingeschlafen. Am nächsten Morgen ließ sich Johannes ein entspannendes Bad ein und dann mit dem Taxi ins Büro chauffieren.
Vor seinem Schreibtisch erwartete ihn ein kleiner Mann mit rotem Gesicht.
Nanu, dachte Johannes, noch ein Lakai? Er gab ihm nicht die Hand.
„Haben Sie gestern einen Vertrag mit der MegaHolding aus Chigaco unterschrieben?“, fragte der Mann mit dem roten Gesicht.
„Wer sind Sie noch mal?“, fragte Johannes zögerlich.
„Sie wissen, dass ich den Aufsichtsrat dieses Unternehmens vertrete.“ Der Kleine begann, ein Muster in den Teppich zu laufen. „Haben Sie den Vertrag unterschrieben oder nicht?“
„Ich habe gestern“, Johannes stockte, „ganz schön viel Papiere bearbeitet; was da jetzt en detail –“
„Die Frage war rhetorisch“, unterbrach ihn der andere. „Ich habe Ihre Unterschrift ja selbst gesehen. Schockiert gesehen! Alle waren schockiert! Dass Ihnen so ein Fehler unterlaufen konnte. Wir haben Sie für einen besseren Strategen gehalten, als wir Ihnen den Jon anboten.“
„Aha“, entgegnete Johannes nur.
„Eine komplette Konzernsparte einfach so zu verkaufen – und das, ohne Rücksprache zu halten!“
„Ach so?“
„Und dann noch diesen Kretin von Petersen hier alleinlassen!“ Die Stimme des Mannes vom Aufsichtsrat war sehr laut geworden. „Der noch nicht mal seine Schuhe alleine zubinden kann.“
„Das – das wusste ich nicht“, stammelte Johannes und wünschte sich seine Hotelbadewanne zurück.
„Sie sind entlassen!“, rief der Mann. „Mit dem Geld, das wir in den nächsten Monaten an Ihnen sparen, können wir wenigstens die Zinsen der Verluste, die Sie uns eingebracht –“
Die Tür flog auf, die Sekretärinnen-Ananas kam hereingestürzt.
„Schlimme Neuigkeiten“, rief sie und schwenkte ein Blatt Papier, „die Weltwirtschaftskrise hat Ihre Aktiendepots erreicht, Herr Geschäftsführer.“
„Ex-Geschäftsführer“, sagte der Mann vom Aufsichtsrat.
„Der Wert ihrer Einlagen ist fast auf Null gefallen, und mit den paar Tausend, die noch dawaren, ist Ihr Anlageberater durchgebrannt.“ Sie drückte ihm das Papier in die Hand. „Sie sind pleite.“ An der Tür drehte sie sich noch einmal um. „Ach so, Ihre Frau hat angerufen.“ Sie zwinkerte obszön. „Sie will endlich die Scheidung.“
Johannes stand wie vom Blitz getroffen. Der Mann vom Aufsichtsrat ging grußlos zur Tür, und als er sie aufzog, hörte Johannes ihn leise lachen. Schon wieder klopfte es, und die Ananas schob noch einmal ihren Kopfstrunk herein: „Draußen warten noch zwei Herren, die Sie gerne sehen möchten, Herr Ex-Geschäftsführer.“
„Sollen reinkommen“, sagte Johannes matt.
Die zwei Männer trugen graue Anzüge, und freundlich sahen sie nicht aus. Mit zwei schnellen Handgriffen hatte der eine Johannes die Arme auf den Rücken gedreht, der andere hielt ihm einen glänzenden Ausweis vors Gesicht. „Steuerbehörde. Sie kommen mit uns.“
„Jetzt?“
„Jetzt.“
„Was – was habe ich denn verbrochen?“, rief Johannes, als er zur Tür gezerrt wurde.
„Das wissen Sie sehr genau, Herr Debauche“, sagte der eine und riss brutal an Johannes’ Arm. „In ihrem Alter können Sie froh sein, wenn Sie noch mal das Licht der Sonne sehen, bevor Sie wieder aus dem Knast kommen.“
„An Ihrer Stelle“, sagte der andere, da waren Sie schon im Aufzug, „würde ich mir eine Tüte über den Kopf ziehen. Die Aktionäre, die da unten auf Sie warten, sind wütend. Ziemlich wütend.“
„Und sie haben Tomaten dabei. Viele Tomaten.“
Als der Wagen der Steuerbehörde durch das Mittagsleuchten der Stadt glitt, starrte er nach draußen. Sein Hemd war ketchupverklebt. Alles war so schnell gegangen. Sie hielten an einer roten Ampel, die Auspuffgase schrieben Schleier in die Luft, und durch die Fensterscheiben starrte Marc-Antoine Debauche auf die Stühle eines Straßencafés.
Blinzelte heftig. Der Mann, der mit dem Rücken zu ihm an einem der Tische saß, in der Hessischen Zeitung blätternd, hatte eine Goldrandbrille auf, das Gestell funkelte grell, zwischen seinen Kinnladen ein Zigarillo, und vor ihm auf dem Tisch: ein klumpiger Aschenbecher aus Ton, an dessen Rändern es metallen glitzerte.
Marc-Antoine Debauche fuhr herum.
„Anhalten!“, rief er.
Aber die Beamten lachten nur. Sie hielten erst wieder an der nächsten Ampel, und Marc-Antoine Debauche blickte hinaus in einen Park.
Und sah sich selbst.
Ja, sich selbst sah er da sitzen, das Gesicht, das einmal seines gewesen war, dieses Gesicht lächelte jetzt, und Marc-Antoine Debauche sah eine Picknickdecke, Rotweingläser, die Sonne blinzelte noch immer, und neben dem jungen Mann saß eine junge Frau auf der Picknickdecke, die Ampel schaltete auf Grün, Debauche konnte das Gesicht der jungen Frau nicht erkennen, als der Wagen anfuhr, ihr Gesicht nicht erkennen, er hatte nur die Haare gesehen, einen Vorhang aus Haaren; und ein Duft stahl sich durch die Lüftung des Wagens, nicht Benzindämpfe, sondern etwas anderes: lieblich und herb zugleich.
Er wollte so sehr, dass sie den Kopf nach ihm umdrehte, er hämmerte gegen das Wagenfenster, er schrie, aber sie wollte sich. Einfach nicht. Umdrehen.
14. Mär, 21:24, L.W.