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Zwischen Kreuzgang und Skriptorium

Schreiben, Schweigen, Lesen: Die Vorab-Videos zum Bachmann-Preis 2009 inszenieren die Autoren als Mönche

Bald ist wieder Bachmannzeit. Als Lesemarathon am Wörthersee werden die "Tage der deutschsprachigen Literatur" gerne bezeichnet, schließlich geht es für die vierzehn Autoren um Literaturpreise für über 55 000 Euro. Und um Aufmerksamkeit. Dafür sorgen schon die Gastgeber. Das Wettlesen um den Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Preis, dieses Jahr von 24. bis 28. Juni, ist längst multimedial hinterbaut: Lesungen und Diskussionen werden nicht nur live im Fernsehen gezeigt, sondern auch ins Internet übertragen und dort kommentiert. Auch die kurzen Filme, mit denen die Autoren dem Saal- und Fernsehpublikum vorgestellt werden, sind schon auf der Homepage des ORF zu sehen. Sie wurden vor achtzehn Jahren als Pausenfüller zwischen den Lesungen eingeführt und wirken immer noch wie lebendig gewordene Autorenfotos - samt dazugehörigen Klappentexten.

Wilhelm Genazino schrieb, Bild des Autors sei der Roman des Lesers; inzwischen ist wohl der Film des Autors zum Roman des Lesers geworden. Vor allem die Buchverlage halten fast trotzig an der bekannten Physiognomie des Literarischen fest, aus Furcht vor gesichtslosen, elektronischen Lesegeräten und digitalen Textsammlungen. Sie bieten zwar Werbefilme, Lesungsmitschnitte und Autorenporträts in ihren digitalen Dependancen an, pflegen dabei aber das traditionelle Dichterporträt: eine Prise Genie, ein Hauch Melancholie, ein bisschen Wahn und viel Entrücktheit.

Der Literaturbetrieb besinnt sich auf seine Wurzeln. Und die reichen weit zurück: Die literale Kultur gelangte in den Skriptorien der Klöster zur Blüte. In diesem Jahr inszenieren die Videos den Schriftsteller deshalb als Mönch und Pilger, wenn es gilt, die Autorentätigkeit in Bilder umzusetzen. Die Wohnung wird dabei zur Eremitenhöhle. Wenn die Kamera ins Arbeitszimmer eindringt, hinter die Kulissen der Künstlerwerkstatt zu blicken, gibt es dort nicht mehr zu sehen als Billy-Regale und weiße Schreibtisch-Altäre, auf denen geisterhaft Laptop oder Computer flimmern.

Literarische Autorschaft wird als heimliche Tätigkeit im hortus conclusus inszeniert, karge Zwei-Zimmer-Wohnungen werden zu Orten demütiger, sakraler Tätigkeit. Die "vita contemplativa", das in Betrachtung versunkene Leben, für Benedikt von Nursia das Ideal mönchischer Lebensweise, scheint hier verwirklicht zu sein. Um die Intimität der Inszenierung nicht zu stören, achten die Literaturdarsteller und ihre Regisseure behutsam darauf, keinen Kontakt mit der Kamera aufzunehmen.

Im geschlossenen Garten

Das Murmeln der Litanei wird wiederholt in Sätzen wie "Sprache ist selbstverständlich Material, und ihre Flexibilität das, was Bruno Preisendörfer am Schreiben interessiert". Selbst der Wettbewerbs-Vortrag, das duldsame Schweigen der Zuschauer, sind nichts als die Wiederaufnahme der Tischlesung im Refektorium, das gelehrte Gespräch der Juroren nach der Lesung ersetzt den scholastischen Disput. Die Filmbeiträge, die ZDF, SF und ORF in diesem Jahr für die Autoren gestaltet haben, erwecken den Eindruck, als seien ihre Scripts alle aus dem gleichen Skriptorium geliefert worden. Statt der tristen, langsamen Kameraschwenks, die während des Wettbewerbs einen Menschen zeigen, der etwas vorliest, zeigen die Videos in tristen, langsamen Standbildern einen Menschen, der schreibt. Oder, von der Gemeinschaft isoliert, im Café sitzt; aber lieber noch: sich in Bewegung befindet. Auch im öffentlichen Raum tritt der Autor kaum mit anderen in Kontakt, bleibt Mann in der Menge.

Das Schreiben wird als Wanderschaft apostrophiert, Illustrationen einer populären Vorstellungen vom Schriftsteller als Pilger auf der Suche nach Sinn, den er in der Erfüllung seiner Tätigkeit findet. Auch die übrigen Inszenierungsorte weisen Symbole des Sakralen auf: Die Videos zeigen den Schrifsteller im Labyrinth (Linda Stift), im verschlossenen Garten (Bruno Preisendörfer), zwischen Bibliothekswänden (Andrea Winkler) oder gleich in Kreuzgang und Kirche (Karsten Krampitz). Selbst die musikalische Untermalung ist zurückgenommen, es sind Jazzklänge, wie man sie auch bei den Marienroder Klosterkonzerten hören könnte.

Einer der Bachmann-Trailer zeigt den jungen Schriftsteller Jens Petersen, der vor wenigen Jahren das präzise Literaturdebüt "Die Haushälterin" vorlegte. Petersen arbeitet als Neurologe, die Teilung des Tages in Arbeit, tätige Nächstenliebe und (literarischen) Gottesdienst kann er so nahtlos verknüpfen. Er untersucht zunächst einen Patienten, zeigt auf Enzephalogramme, sagt: "Ich glaube, dass die prägendsten Erfahrungen, die man macht, die mit dem Tod sind." Dass der Autorarzt zwei Videosekunden später in bester Hermann-Burger-Pose ins Tessin hinausbraust - um sich zum Schreiben in eine Villa zurückzuziehen, wohlgemerkt -, ist entweder vorweggenommene Epiphanie oder beweist, dass auch der strengste Asket den weltlichen Versuchungen unterworfen bleibt.

Sanfte Bubblegummusik

Ein Glück, dass sich nicht alle Teilnehmer solch halbgeißlerischen, halbverzückten Exerzitien hingeben. Zwei Videos wurden von den Autoren selbst gestaltet: Christiane Neudeckers Beitrag inszeniert den Klagenfurter Wettbewerb als Boxkampf, in einer Mischung aus Poetry Slam und Aerobicvideo. Philipp Weiss dagegen bespiegelt sich in der Kamera, pustet zu Bubblegummusik die Backen auf.

Oliver Jungen nennt die Clips "die größte Demütigung für die Autoren". Das stimmt nicht. Sie versuchen, die Aura des Autoritären und Absoluten, ohne die in Deutschland kein Kunstgenuss möglich ist, so überraschungsfrei wie möglich herzustellen, indem sie an die ikonographische Tradition des Literarischen anknüpfen. Dass sie dabei mehr auf das Publikum und seine Erwartungen zeigen als auf den Menschen hinter dem literarischen Text, sollte dieses Publikum ihnen nicht anlasten. LINO WIRAG
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