Essay
Maskierte Bildschirme
Das populäre Sachbuch wird Fernsehen
Man kennt ihre Gesichter, die facettenreichen: Sie beherrschen alle Spielarten der guten Laune. Sie hängen im Netz der Sachbuchliste, um von Woche zu Woche gemächlich einen Verkaufsplatz ab-, einen aufzusteigen. Der Käufer verfängt sich in diesem Angebot – die Klebkraft ist stark, die schiere Masse verlockend. Dazu der wohlige Schock des Erkannten, das ihm da fachwissend entgegenlächelt oder allwissend entgegendräut, wenn es sich um einen einschlägigen Hellseher handelt. Das populäre Sachbuch zeigt Gesicht. Bei Rowohlts, Fischers, Kiepenheuers hat es längst Methode: Das Autorenfoto ist nicht nur aufs Cover gewandert, sondern ersetzt es sogar. Und das Buch gleich mit. Das Medium wird die Botschaft, hätte Marshall McLuhan gesagt, und gemeint, dass sich unsere Wahrnehmungsgewohnheiten verändern. Vor allem unsere Wahrnehmung des Sachbuchs. Vom schwerverdaulichen Gedanken-, mitunter Bedenkenträger wandelt sich eine Buchsparte zum Häppchen. Bildung, Spiritualität, Glückslehre, Erziehung, Ernährung, Fitness – eine kleine Kopfnuss für zwischendurch.
Erinnerungen an ein anderes Medium werden wach. Die gereihte Frontalpräsentation von Buchcovern im Handel, die Wiederholung der immergleichen Gesichter in kurzem Takt: Das sind Fernsehverfahren. Wo das Autorenfoto einmal etwas über das Verhältnis zwischen Literatur und Fotografie erzählte, das Barthesche „punctum“ einen aus Handkes Fusselbart bestach, reden die Buchcover jetzt über ihre Beziehung zum Fernsehen. Das totgesagte Leitmedium TV gibt die Themen vor, über die sich eine Verständigung noch lohnt, das Buch als das trägere Medium kommt hinterhergehumpelt und maskiert sich dabei als Bildschirm. Fürs Fernsehen, zumal fürs private, gilt: Die Inhalte müssen interessant, verständlich und optisch darstellbar sein – grafische Gliederung, Komik und Lesefreundlichkeit sind deshalb die beherrschenden Gestaltungsargumente der populären Sachbuchs geworden.
Alle sprechen von Büchern im Fernsehen, niemand redet vom Fernsehen im Buch. Dabei hatten Verlage schon um die Jahrtausendwende begonnen, Comedians, Entertainer und Moderatoren darum zu bitten, doch mal ein Sachbuch für sie zu schreiben. Populäre Autoren für populäre Sachbücher. Dieter Nuhr gelang vor drei Jahren mit „Gibt es intelligentes Leben?“ als Erstem der Einstieg in die Bestsellerlisten. 2007 hatte dann der Ex-Doofe Wigald Boning seine „Bekenntnisse eines Nachtsportlers“ zu beichten, Kleindarsteller Bernhard Hoëcker ließ seine „Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers“ mitsamt techno-rousseauistischem „Mit Geocaching zurück zur Natur“ drucken. Cordula Stratmann informierte über Hypochondrie, Eckhardt von Hirschhausen über medizinische Kuriosa.
Prof. Stephan Porombka, der das „populäre deutschsprachige Sachbuch im 20. Jahrhundert“ erforscht hat, weist auf zeitgenössische Qualifikationen hin: „Zunächst einmal muss ein Sachbuchautor ein Experte für sein Thema sein – oder er sollte mir zeigen, wie er sich selbst durch Recherchen zum Experten macht. Zum Zweiten aber muss er auch ein guter Entertainer sein, den Leser fesseln können und ihn an seine Geschichte binden. Das geschieht in erster Linie durch die Ansprache des Lesers.“ Ranga Yogeshwar ist deshalb neugierig, ob wir „Sonst noch Fragen?“ haben, Thorsten Havener weiß, „was du denkst“. Das distanzlose Ansprechen und die Kunst des Infotainment beherrschen die neuen Sachbuchstars perfekt.
In der Sachbuch-Bestsellerliste des Spiegel – nach Elke Heidenreichs Abgang die wohl wichtigste Lese-Agenda der bürgerlichen Mitte – rangieren zur Zeit allein sechs Fernsehprominente in den Top Ten: vom unvermeidlichen Hirschhausen bis zu Ralf Schmitz' Katze (die es auf beeindruckende 150 Amazon-Kundenrezensionen bringt) und einem ominösen Tele-Telepathen mit dem einprägsamen Namen Thorsten Havener. Jedes dieser Bücher könnte als Sendung zwei dichte Fernsehstunden füllen. Der Exodus der Unterhaltungsindustrie in den aussterbenden Buchmarkt ist damit nicht erklärt. Sicher, es gilt Synergieeffekte zu nutzen, und so ist es nur folgerichtig, dass Medienprofis auch andere Medien bespielen. Zumal die Musikindustrie sich noch immer geriert, als seien mit ihr keine Umsätze mehr zu machen. Die Verlage vertrauen dem Gutenbergmedium nicht mehr und haben sich mit gehöriger Verspätung auf den Weg in die McLuhan-Galaxis gemacht, in der das Fernsehen „zur beherrschenden Form der Kommunikation“ (Manuel Castells) geworden ist. Aus der lächelnd vorgebrachten Aufforderung, einfach mal einzuschalten, wird die, einfach mal reinzulesen.Dass auch noch das Internet auf sein Tortenstück aus dem Buchmarkt wartet, wird vorerst verdrängt.
Unser Kulturkonsum ist von Bildschirmen geprägt. Der Kunde bleibt im Buchhandel vor den zehn Thesen der Bestsellerliste stehen, lässt seinen Blick springen. Das Bücherzapping wird nur unterbrochen für den Reiz des Erkannten. Träger dieser frohen Botschaft ist der Promi, das wiederholte Gesicht, der bekannte Körper, selbst wenn er aufgeschwemmt daherkommt wie der Hape Kerkelings. Das menschliche Gehirn löst einen Belohnungsreflex aus, wenn es etwas wiedererkennt: Die Einsparung des Aufwands, eine neue Information einordnen zu müssen, wird in Endorphinen zurückerstattet, behauptet zumindest die psychoanalytische Rezeptionsforschung. Komplexitätsreduktion, wie auch die Inhalte der Bücher angetreten sind, Komplexität zu reduzieren. Wir gewähren dem Bekannten einen Vertrauensvorschuss (auch diesen Mechanismus hat das Fernsehen maßgeblich vorbereitet): Du bist es wert, mich zu unterhalten.
Der Buchmarkt reagiert mit dieser Politik des offenen Gesichts genau richtig: Die Kölner Agentur „Die Gefährten“ fand bei einer Konsumentenbefragung heraus, dass fast zwei Drittel der Kunden ihre Bucheinkäufe (nach einigem Stöbern) spontan und ohne Beratung vornehmen. Wir greifen nach dem, was uns anlacht, Unterhaltung und Belehrung zugleich verspricht. Brecht hatte noch dem Hörfunk unterstellt, dass er nur Vorhandenes imitiere, die Lesekultur nämlich. Über den Zweifel, das Fernsehen nur nachzuahmen, ist das populäre Sachbücher längst erhaben: Die Telenovelle hat die fernmedialen Qualitäten erkannt, Philosophie und Naturwissenschaft vorabendtauglich zu machen. Neil Postmans zwanzig Jahre alte Befürchtung, wir würden ob soviel Infotainments „zu Tode amüsieren“, hat sich schließlich noch nicht erfüllt.
Jedes Buch verspricht das spontane, oft zufällige Aufleuchten des besonderen Moments, den es zu ergreifen gilt, damit er Bedeutung gewinnt. Ähnlich archaische Muster treiben uns Abend für Abend vor das Herdfeuer des Fernsehapparats, in seinem Flackern uns selbst zu finden oder zu verlieren. Oder aufs Sofa, in den Kokon der Decken, und dann hinein zwischen die Seiten, die Aufklärung darüber versprechen, warum „Frauen kalte Füße haben“, ob „Akupunktur beim Auto hilft“, und wo genau das intelligente Leben denn nun zu finden sei.
LINO WIRAG
Das populäre Sachbuch wird Fernsehen
Man kennt ihre Gesichter, die facettenreichen: Sie beherrschen alle Spielarten der guten Laune. Sie hängen im Netz der Sachbuchliste, um von Woche zu Woche gemächlich einen Verkaufsplatz ab-, einen aufzusteigen. Der Käufer verfängt sich in diesem Angebot – die Klebkraft ist stark, die schiere Masse verlockend. Dazu der wohlige Schock des Erkannten, das ihm da fachwissend entgegenlächelt oder allwissend entgegendräut, wenn es sich um einen einschlägigen Hellseher handelt. Das populäre Sachbuch zeigt Gesicht. Bei Rowohlts, Fischers, Kiepenheuers hat es längst Methode: Das Autorenfoto ist nicht nur aufs Cover gewandert, sondern ersetzt es sogar. Und das Buch gleich mit. Das Medium wird die Botschaft, hätte Marshall McLuhan gesagt, und gemeint, dass sich unsere Wahrnehmungsgewohnheiten verändern. Vor allem unsere Wahrnehmung des Sachbuchs. Vom schwerverdaulichen Gedanken-, mitunter Bedenkenträger wandelt sich eine Buchsparte zum Häppchen. Bildung, Spiritualität, Glückslehre, Erziehung, Ernährung, Fitness – eine kleine Kopfnuss für zwischendurch.
Erinnerungen an ein anderes Medium werden wach. Die gereihte Frontalpräsentation von Buchcovern im Handel, die Wiederholung der immergleichen Gesichter in kurzem Takt: Das sind Fernsehverfahren. Wo das Autorenfoto einmal etwas über das Verhältnis zwischen Literatur und Fotografie erzählte, das Barthesche „punctum“ einen aus Handkes Fusselbart bestach, reden die Buchcover jetzt über ihre Beziehung zum Fernsehen. Das totgesagte Leitmedium TV gibt die Themen vor, über die sich eine Verständigung noch lohnt, das Buch als das trägere Medium kommt hinterhergehumpelt und maskiert sich dabei als Bildschirm. Fürs Fernsehen, zumal fürs private, gilt: Die Inhalte müssen interessant, verständlich und optisch darstellbar sein – grafische Gliederung, Komik und Lesefreundlichkeit sind deshalb die beherrschenden Gestaltungsargumente der populären Sachbuchs geworden.
Alle sprechen von Büchern im Fernsehen, niemand redet vom Fernsehen im Buch. Dabei hatten Verlage schon um die Jahrtausendwende begonnen, Comedians, Entertainer und Moderatoren darum zu bitten, doch mal ein Sachbuch für sie zu schreiben. Populäre Autoren für populäre Sachbücher. Dieter Nuhr gelang vor drei Jahren mit „Gibt es intelligentes Leben?“ als Erstem der Einstieg in die Bestsellerlisten. 2007 hatte dann der Ex-Doofe Wigald Boning seine „Bekenntnisse eines Nachtsportlers“ zu beichten, Kleindarsteller Bernhard Hoëcker ließ seine „Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers“ mitsamt techno-rousseauistischem „Mit Geocaching zurück zur Natur“ drucken. Cordula Stratmann informierte über Hypochondrie, Eckhardt von Hirschhausen über medizinische Kuriosa.
Prof. Stephan Porombka, der das „populäre deutschsprachige Sachbuch im 20. Jahrhundert“ erforscht hat, weist auf zeitgenössische Qualifikationen hin: „Zunächst einmal muss ein Sachbuchautor ein Experte für sein Thema sein – oder er sollte mir zeigen, wie er sich selbst durch Recherchen zum Experten macht. Zum Zweiten aber muss er auch ein guter Entertainer sein, den Leser fesseln können und ihn an seine Geschichte binden. Das geschieht in erster Linie durch die Ansprache des Lesers.“ Ranga Yogeshwar ist deshalb neugierig, ob wir „Sonst noch Fragen?“ haben, Thorsten Havener weiß, „was du denkst“. Das distanzlose Ansprechen und die Kunst des Infotainment beherrschen die neuen Sachbuchstars perfekt.
In der Sachbuch-Bestsellerliste des Spiegel – nach Elke Heidenreichs Abgang die wohl wichtigste Lese-Agenda der bürgerlichen Mitte – rangieren zur Zeit allein sechs Fernsehprominente in den Top Ten: vom unvermeidlichen Hirschhausen bis zu Ralf Schmitz' Katze (die es auf beeindruckende 150 Amazon-Kundenrezensionen bringt) und einem ominösen Tele-Telepathen mit dem einprägsamen Namen Thorsten Havener. Jedes dieser Bücher könnte als Sendung zwei dichte Fernsehstunden füllen. Der Exodus der Unterhaltungsindustrie in den aussterbenden Buchmarkt ist damit nicht erklärt. Sicher, es gilt Synergieeffekte zu nutzen, und so ist es nur folgerichtig, dass Medienprofis auch andere Medien bespielen. Zumal die Musikindustrie sich noch immer geriert, als seien mit ihr keine Umsätze mehr zu machen. Die Verlage vertrauen dem Gutenbergmedium nicht mehr und haben sich mit gehöriger Verspätung auf den Weg in die McLuhan-Galaxis gemacht, in der das Fernsehen „zur beherrschenden Form der Kommunikation“ (Manuel Castells) geworden ist. Aus der lächelnd vorgebrachten Aufforderung, einfach mal einzuschalten, wird die, einfach mal reinzulesen.Dass auch noch das Internet auf sein Tortenstück aus dem Buchmarkt wartet, wird vorerst verdrängt.
Unser Kulturkonsum ist von Bildschirmen geprägt. Der Kunde bleibt im Buchhandel vor den zehn Thesen der Bestsellerliste stehen, lässt seinen Blick springen. Das Bücherzapping wird nur unterbrochen für den Reiz des Erkannten. Träger dieser frohen Botschaft ist der Promi, das wiederholte Gesicht, der bekannte Körper, selbst wenn er aufgeschwemmt daherkommt wie der Hape Kerkelings. Das menschliche Gehirn löst einen Belohnungsreflex aus, wenn es etwas wiedererkennt: Die Einsparung des Aufwands, eine neue Information einordnen zu müssen, wird in Endorphinen zurückerstattet, behauptet zumindest die psychoanalytische Rezeptionsforschung. Komplexitätsreduktion, wie auch die Inhalte der Bücher angetreten sind, Komplexität zu reduzieren. Wir gewähren dem Bekannten einen Vertrauensvorschuss (auch diesen Mechanismus hat das Fernsehen maßgeblich vorbereitet): Du bist es wert, mich zu unterhalten.
Der Buchmarkt reagiert mit dieser Politik des offenen Gesichts genau richtig: Die Kölner Agentur „Die Gefährten“ fand bei einer Konsumentenbefragung heraus, dass fast zwei Drittel der Kunden ihre Bucheinkäufe (nach einigem Stöbern) spontan und ohne Beratung vornehmen. Wir greifen nach dem, was uns anlacht, Unterhaltung und Belehrung zugleich verspricht. Brecht hatte noch dem Hörfunk unterstellt, dass er nur Vorhandenes imitiere, die Lesekultur nämlich. Über den Zweifel, das Fernsehen nur nachzuahmen, ist das populäre Sachbücher längst erhaben: Die Telenovelle hat die fernmedialen Qualitäten erkannt, Philosophie und Naturwissenschaft vorabendtauglich zu machen. Neil Postmans zwanzig Jahre alte Befürchtung, wir würden ob soviel Infotainments „zu Tode amüsieren“, hat sich schließlich noch nicht erfüllt.
Jedes Buch verspricht das spontane, oft zufällige Aufleuchten des besonderen Moments, den es zu ergreifen gilt, damit er Bedeutung gewinnt. Ähnlich archaische Muster treiben uns Abend für Abend vor das Herdfeuer des Fernsehapparats, in seinem Flackern uns selbst zu finden oder zu verlieren. Oder aufs Sofa, in den Kokon der Decken, und dann hinein zwischen die Seiten, die Aufklärung darüber versprechen, warum „Frauen kalte Füße haben“, ob „Akupunktur beim Auto hilft“, und wo genau das intelligente Leben denn nun zu finden sei.
LINO WIRAG
8. Jun, 23:25, L.W.






