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Nachruf

Faszinierende Schwarzweiß-Komplexe
Zum Tod des Zeichners Paul Flora


Mit dem Tod stand er auf gutem Fuß: Den Pestdoktor, der durch den dichten, venezianischen Nebel zu den Sterbenden eilt, hat er immer wieder gezeichnet. Die lange Nase läuft ihm mahnend voraus, die Maske larviert die Augen. Jetzt ist Paul Flora am 15. Mai 2008 im Alter von 87 Jahren gestorben.

1922 im Südtiroler Glurns geboren, wuchs der Arztsohn in Innsbruck auf und zog sich dort in eigenen Worten einige „interessanten Komplexen zu, welche seither meine Geschäftsgrundlage bilden“. Gemeint war nicht nur seine rabenschwarze Weltsicht, sondern auch seine zeichnerische Begabung. Vor allem Floras frühere Arbeiten, die des Karikaturisten, erinnern mit ihren fast höflichen, immer ein wenig zu exakten Linien an Olaf Gulbransson: Bei ihm hatte er studiert, hier hatte er gelernt, aus einem weißen Blatt nur das Wichtigste, die Konturen herauszumeißeln. Auch seine Wahlverwandtschaft mit Klee, Steinberg und dem frühen Feininger ist nicht zu übersehen, besonders Alfred Kubin beeindruckte den jungen Flora. Viele von Floras visuellen Einfällen erinnern an diesen Jahrhundertwende-Meister der Groteske, oder, mit Floras Worten: „Wir agieren auf Schultern von Riesen, und einer dieser Riesen ist Kubin, der wichtigste Zeichner Österreichs.“



Bald stand Paul Flora auf eigenen Füßen: Seine Karikaturen für die Hamburger „Zeit“ machten ihn bundesweit bekannt, ersten Ausstellungen nach dem Kriegsende folgten unzählige in aller Welt. Dazu kamen seine Bücher – seit den 50ern veröffentlichte er bei Diogenes Band um Band (der Debütband hieß wortspielerisch „Floras Fauna“), einem Verlag, der noch immer eines der ambitioniertesten Cartoonprogramme der Welt bedient – mit Zeichnern wie Ungerer, Sempé, Loriot, Waechter, Bosc oder Chaval. Erst Anfang der Siebziger beendete Flora seine Tätigkeit für die „Zeit“ nach rund 3500 Blättern – dabei war er nie durch Wünsche oder gar korrigierende Eingriffe von der Redaktion in seiner Tätigkeit gestört worden.

Die Stahlfeder ist ein magisches Instrument, Tusche schwarzes Blut. Wer einmal mit der eigenen Hand erprobt hat, welch aufregende Linienvielfalt sich mit einer Tuschfeder zu Papier bringen lässt, nimmt nie wieder einen Filzstift in die Hand. Für einen Schraffeur wie Paul Flora war der Federhalter eine Waffe, mit der er das Papier bearbeitete. Seine Blätter gewinnen plastische Qualität, der Betrachter fühlt sich eingeladen, darüberzustreichen, die feinen Furchen nachzufahren, die die Zeichnung im Blatt hinterlassen haben muss. Flora benötigte kaum Farbe, arbeitet in die Fläche. Seine Arbeiten sind oft Kombinationen aus einer freischwebenden Linie und mit Schraffur gefüllter Fläche: dünn und dicht musste sie sein. Sein Verfahren war das des Radierers, der sich in den Zeichengrund eingräbt, die Bildvision aus ihm herausarbeitet. Seine Grauwertvarianten sind unübertroffen, feinste Hell-Dunkel-Abstufungen entstehen aus einer dichten Kreuzschraffur, Schattierungen, Wölbungen, Schnittflächen. Ein Zeichner, der das Blatt immer wieder wendet, dreht, bis er den richtigen Ton getroffen hat. Flora konnte mit schwarzer Tusche sogar Schnee aufs Papier bringen. Fleißarbeit, schmerzende Handgelenke am Abend.

Paul Flora attestierte sich selbst einen „Hang zu Unheimlichkeiten, abgemildert ins ironisch Liebenswürdige.“ Er war ein Humanist, aber ein skeptischer, dem alles Laute zuwider war, Pathos jeder Couleur war ihm fremd. Seine Bilder wirken manchmal düster, fast immer melancholisch. Es sind Motive, die aus dem Grotesken schöpfen, die Angst und Gelächter zusammenbinden: Immer wieder verlorene Menschenfiguren, karge Natur und befremdliches Getier, nicht selten Chimären. Ulrich Weinzierl beschreibt eindrucksvoll Floras Themen- und Figurenpalette: „Voluminöse Damen Marke Walküre herzten den zwergwüchsigen Richard Wagner. Bürgerliche Wüstlinge trafen auf Attentäter, Dichter auf Denker und äußerst bärtige Revolutionäre. Verfallen war Flora dem Reiz venezianischer Masken und Veduten in ihrer welken Pracht. Er hatte eine Schwäche für Marionetten und k. u. k. Offiziere in voller Montur, für Ratten und Nonnen, für kahle Bäume in Winterlandschaften … Sein Wappentier aber war der Rabe, ein Wesen von abgründiger, gefährlicher Weisheit.“ Bei soviel charmanter Weltabgewandtheit war es nur folgerichtig, dass im Jahr 2007 der Asteroid 85.411 nach Paul Flora benannt wurde.

Er ist also immer noch da draußen.

LINO WIRAG (für librikon.de)


via http://www.profutura.ch/img/bilder/kunst_edition/paul_flora1.jpg
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