Das gestrichene Kapitel
... aus dem großen Wildwestroman "Der große Elefantentrieb von 1855" (Fischer, Maas, Strasser, Wirag)
Duke strich sanft über die graue Kugel, die sich unter ihm hob und senkte. Er hatte noch nie etwas so Schönes gesehen. Wie eine riesige, graue Kugel Eis, dachte der Duke bei sich, halt nein, das war nicht ganz richtig! Sophia war anders (diesen Name hatte er ihr gegeben, als sie sich zum ersten Mal tief in die Augen blickten, hinab bis zum Grund ihrer verhornten Elefantenseele). Ihr Hinterkopf war zwar so süß und weich wie Sahneeis, dabei aber auch warm und fest. Wie – wie eine mit Gewebeproben gefüllte Luftmatratze. Genau so war es! Vorsichtig drückte er seinen tabakwunden Fingernagel in Sophias Nackenhaut. Er konnte spüren, wie sich ihre Muskeln unter den trabenden Schritte spannten und lockerten. Weich. Fest. Weich. Fest. Noch nie hatte er etwas Derartiges so aus der Nähe erlebt! Auch ihr aufdringlich-unaufdringlicher Geruch nach Pfefferminze, die man in Dung gewälzt hatte – mit einer Note Thorsten Schäfer-Gümbel – betäubte ihn, ganz und gar. Haarinseln standen schwarz und schweigend aus Sophias Hinterkopf, als wäre sie mit Stahlwolle gefüllt und nicht ganz dicht, dachte Duke Headshot Finnigan Jr. liebevoll liebestoll. Sanft strich er über ihren Igel-Iro. Als hätte man ihr Spinnenbeine in den Hinterkopf gesteckt. Er musste an die Schnurrhaare seiner ersten Katze denken. Und daran, wie sehr er Sophia liebte. Er würde die Zoomauern sprengen, eine Stall Orang-Utans erschießen und sämtliche Zoowärter vergewaltigen, um ihr ein behagliches Heim zu erkämpfen. Seine erste Katze hatte Duke Headshot übrigens an eine fahrenden Händlerin verschenkt: Sie hatte kratzige Feinripp-Unterwäsche an Einsiedler und Dummköpfe verkauft, und den noch jungen Duke – der zwar schon einen Mann getötet, aber den kleinen Tod noch nicht kannte – mit seinem ersten zweigeschlechtlichen Experiment und einigen erlesenen Untenrumkrankheiten bedachte. Er dachte gerne an sie zurück. Doch war es keine Liebe gewesen, damals, nur eine Katze, die Würmer hatte und ohnehin wegmusste. Und die Krätze. Die Liebe, die Liebe war jetzt. Sie war groß, haarig und sie war hier. Er spürte Sophias starken Körper zwischen seinen Schenkeln. Ihren breiten Knetgummihals. Dann hob er den Kopf, indes der Blick ihm wie ein Hund vorauslief, in Richtung Norden. Ihr gertenschlanker, biegsamer Rüssel schlenkerte vor ihm in die Mittagssonne hinein. Sie schien den Gluttropfen des geilen göttlichen Gestirns wie ein Diadem auf der Rüsselspitze zu balancieren. Für einen Mann, der gewöhnlich Whisky trank, Kellnerinnen in unerfreuliche Umstände bracht und Sheriffs durchlochte, hatte eine bemerkenswerte Veränderung mit Duke Headshot Finnigan Jr. stattgefunden.
Das hatte auch Bill Weston bemerkt.
Vor drei Stunden, kurz nach Sonnenaufgang, waren sie aufgebrochen. Bill rieb seine wunder Schulter, mit der er gestern auf der Flucht vor den Schüssen gegen einen Affenbrotbaum geprallt war. Ihm taten alle Knochen weh von den Ereignissen, die sich am Nachmittag zuvor zugetragen hatten. Aber er hatte überlebt. Und mit ihm diese 103 Elefanten. Von denen einer die besondere Aufmerksamkeit seines Kumpanen zu genießen schien.
Und Bill Weston konnte sein Maul nicht halten. Vielleicht nur, weil ihn der schnelle Sieg über Hans Müllers Elefantenbodyguards verdammt, verdammt übermütig gemacht hatte.
„Ein schönes Tier, dass du da hast, Duke“, sagte Bill. Er wies auf Sophia. Bill Weston hatte es, wie er sich eingestand, ebenfalls nicht auf dem Pferd gehalten. Er war auch auf einen Elefanten umgestiegen. Aus Bequemlichkeit, wie er murmelte. Weicheres Fleisch. Er ritt jetzt auf einem kleineren Elefantenbullen, der zwei abgebrochene, fauliggelbe Stoßzähne hatte, so wie man sich einen alten Inder vorstellte. Nur als Elefant.
Duke ließ sich nicht beirren, er streichelte nur weiter Sophias Hals. Er hatte ihr eine von seinen schwarzen Zigarren ins Rüsselende gesteckt, so dass sie nun zufrieden grauen Dampf durch ihren winzigen, rosafarbenen Mund entließ. Als nächstes beschmiert er sie mit Lippenstift, dachte Bill. Duke hatte auch seine Sporen abgenommen, um Sophia beim Reiten nicht versehentlich zu verletzen.
„Die Elefanten“, nahm Bill das Thema wieder auf. „Schade, dass ihre prächtigen Körper bald zwischen den Rotierwalzen der großen Fleischmaschinen von WASWEIßICHWO2-County zermahlen und zerquetscht und“, ihm fiel nichts mehr ein, „zermahlen werden.“
Er machte eine Pause.
„Wirklich jammerschade.“
Duke schwieg noch immer. War da ein Knisten in der Luft, oder verbrannte nur irgendwo eine Körnerherde Staub in der Sonnenglut?
„Ich würde ja gerne einen Elefanten mit nach Hause nehmen“, knüpfte Bill das Gespräch subtil weiter. „Für meinen Vorgarten. Um ihn zwischen die Gartenzwerge zu stellen.“
„Du hast doch überhaupt keinen Vorgarten“, knurrte Duke jetzt. „Ein Vorgarten ist ein Zeichen von Klasse. Du hast keine Klasse.“
Es stimmte: Bill Weston hatte keinen Vorgarten. Dafür war es eine Lüge, dass ein Vorgarten ein Zeichen von Klasse sei. Er war ein Zeichen von Niedertracht und Armut.
Wieder schwiegen beide. Die Wüste zog sich ganz schön. Vereinzelt hockte ein Geier auf einem Bäumchen, schon ganz verschrumpelt. Hier, mitten im Wasteland, stellten sogar die Aasfresser einander noch, damit sie überhaupt noch an Nahrung kamen. APRIL is the cruellest month, breeding / Lilacs out of the dead land, mixing / Memory and desire. Nirgendwo war auch nur ein Fliederblättchen zu sehen. Bill drehte den Hals in alle Richtungen, als mache er Bürogymnastik für fette Sekretärinnen. Das Lastentier unter seinen Schenkeln waberte wie Jelly. Wie lange würden es die stolzen Elefantentiere aushalten, ohne etwas zu trinken? Jetzt, wo er genauer hinsah, wirkten die Elefanten schon ganz eingeschrumpft, es hatten sich riesige Hautfalten unter den Armen und zwischen Beinen und Bauch gebildet. Oder war das normal? Bill Weston wusste es nicht. Wie hätte Hans Müller dieses Problem gelöst? Auch dass wusste Bill Weston nicht.
Er zeigte aufs Geradewohl in eine Richtung.
„Da drüben hab ich mal gearbeitet“, rief er mit fröhlicher Stimme zu Duke Headshot hinüber.
Duke antwortete nicht. Er war ganz in die Betrachtung der gemächlich watschelnden Elefantenkuh unter ihm versunken.
„Ja!“, fuhr Bill fort, als hätte Duke sich erkundigt, „als Holzfäller. Weißt du, warum?“
Bill merkte schon, dass sein Witz nicht funktionieren würde. Eisernes Schweigen von der Seite des Dukes. Bill Weston überlegte, ob er den Transport nicht alleine zu Ende bringen sollte. Dann würde er den Gewinn nicht teilen müssen … Was das nicht besser, als das Unternehmen mit einem halbirren, liebeskranken Zoophilen fortzuführen, er sie beide wahrscheinlich bei der nächsten Gelegenheit für ein sexy Streifenhörnchen mitsamt der Elefantenherde über die nächste Klippe stürzen würde? War es nicht besser, Duke jetzt, wo er abgelenkt war, schnell und gründlich aus dem Weg zu räumen? Er dachte an ihr erstes Zusammentreffen. Duke hätte genauso gehandelt. Die Elefanten schienen den Weg zu wissen. Sie würden sicher auch das Wasserproblem auf irgendeine Weise lösen, vielleicht, indem sie sich gegenseitig in die Rüssel …
Bill beschloss, auf Nummer Sicher zu gehen.
Er holte seinen Revolver aus dem Sattelgurt (Holster, Halfter) und murmelte etwas wie „Ich reinige dann mal meine Waffe, nicht?“ Er öffnete die Schusstrommel und popelte an den Patronen herum. Eine nahm er heraus und hielt sie gegen die Sonne, als müsse er überprüfen, dass sie kein Loch habe. Dann steckte er sie wieder in den Schusskranz, nahm eine andere heraus und wiederholte das Prozedere. Mit dem Daumen der linken Hand spannte er sehr, sehr langsam den Schusshahn. Jetzt hatte er einen besonders interessanten Kratzer an der Unterseite der Patrone gefunden, die er gerade hochhielt, den er unbedingt studieren musste. Langsam, langsam wanderte die Mündung seiner Waffe in Duke Headshots Richtung. Der mittlerweile damit beschäftigt war, den Hals seiner Elefantenlady – wie hatte er sie genannt, Sophia? – mit Melkfett einzureiben. Als nächstes würde er wohl versuchen, sich von ihr einen abmelken zu lassen. Widerlich. Sie würde er auch abknallen. Einfach, damit er sie nicht mehr sehen musste. Bill Weston dachte: Irgendwie würde er damit auch Hans Müller schaden, schließlich stellte er so sicher, dass die Elefantenherde dem größten Erzschwein von San Francisco nicht wieder in die Hände fiele. Ja, heute ist tatsächlich mein Glückstag!, dachte sich Bill Weston. Er spüre einen fröhlichen kleinen Rülpser aus seinem Magen herausgluckern. Duke Headshot Finnigan-Ole-Heinrich hatte angefangen, ein Kinderlied auf den Hinterkopf seiner Elefantendame herab zu summen. Er wirkte glücklich. Wäre das nicht ein passend? So zufrieden zu sterben? Sollte er ihm diesen Gefallen nicht gewähren? Der Lauf zeigte immer noch wie zufällig auf Duke, der Hahn war gespannt. Jetzt ließ Bill die letzte Kugel in die Trommel zurückgleiten und sich gleichzeitig ein wenig zurückfallen. „Ich sehe mal nach den Tieren weiter hinten“, rief er zu Duke hinüber.
Und hob den Kopf.
Das hätte er nicht tun sollen.
Denn wo er gerade noch einen versunken melkfettschmierenden Duke Headshot erwartet hatte, bleckte sich ihm nun das weit aufgerissene Mündungsauge dessen Revolvers entgegen.
Jetzt sprach der Duke wieder. „Denk nicht mal dran“, sprach er. Und dann: „Gib mir deine Waffe. So. Brav.“
Bill Weston stammelte noch etwas von Missverständnis, aber da hatte ihm Sophia schon das Schießeisen aus den feuchten Händen gezutzelt. Duke strich ihr über den Kopf und murmelte: Brav, brav. Stolz trug nun die Elefantin seinen, Bill Westons, Schussprügel vor sich her, auf Kopfhöhe eines erwachsenen Mannes noch vorne gestreckt.
„Wirklich, du beschämst mich“, knurrte Duke Headshot, ohne Bill anzusehen. „Wenn du dich nicht benimmst, dann erlaube ich Sophia, dich zu erschießen.“ In seiner Stimme war kein Humor zu hören. Auch Sophia machte nicht den Eindruck, als ob sie scherze. Im Gegenteil, sie nagte nur abwesend mit ihren riesigen, gelben Zähnen am Lauf des Schießeisens und saugte es dann, den Griff voran, in ihren Rüssel, bis nur noch der schmale, silberne Lauf vorne herausstand. Der ganze Rüssel, so schien es, war zu einer gigantischen Waffe geworden, zu einer elefantischen Panzerfaust.
Bill Weston wimmerte und sank auf seinem Kleinelefanten zusammen.
„Wir reiten nicht mehr nach WASWEIßICHWO2-County“, sagte Duke jetzt mit fester Stimme.
„Was?“, jammerte Bill Weston. Er hatte beschlossen, den Unterworfenen zu spielen, bis ihm etwas Besseres einfiel. „Aber das war doch unser Plan! Von Anfang an! Wir wollen doch das Geld von der Abdeckerei für die Viecher.“ Bill fühlte Panik in sich aufsteigen. „Bitte, Duke, nimm doch Vernunft an! Du brauchst doch die Kohle! Wozu haben wir den ganzen Scheiß hier denn überhaupt angestiftet?“
Der Duke schien ihn gar nicht zu beachten. Er starrte nur immerzu in den Himmel, als werde dort über seinem Kopf gleich das Antlitz des Allmächtigen aufscheinen. Vermutlich als indischer Elefantengott Ganesha mit shrimpsartig geringeltem Rüssel und einer Lotusblüte in drei von vier Händen.
„Verdammt noch mal, was hast du denn jetzt vor?“, schrie Bill. Er hatte sich auf seinem Elefanten aufgerichtet, so dass er jetzt gefährlich auf dem Rücken des Tieres balancierte. Die Füße hatte er in den Nacken des Tieres gestemmt, mit einer Hand hielt er die Reißleine fest, die an den Hörnern des krüpplichten Tieres angebunden war, mit der anderen fuhrwerkte er in der Luft herum.
„He! Schau mich mal an, Mann!“, reimte er unbeholfen. „Was soll der Zirkus?“
Da trafen ihn Duke Headshots kalte Augen ein zweites Mal. Wieder glomm darin eine bedenkliche Mischung aus Wahnsinn, Liebesblödigkeit und kalter Kalkulation. „Wir müssen einen neuen Platz für sie finden. Einen Ort, wo sie sein können.“ Er sprach das Wort Sein aus, als wäre es gut heideggersch großgeschrieben. Dann wurde seine Stimme sogar noch salbungsvoller. „Leben. Mehr als nur zu überleben. Leben. Das ist Ursprung und Ziel. Leben. Als kleiner Teil des großen Ganzen. Lebenswert zu sein.“
Die Worte kamen Bill Weston entfernt bekannt vor. Vielleicht ängstigten sie ihn deshalb.
„Wir sind hier mitten in der Wüste, Mann! Wo willst du hier das gelobte Land für Elefanten aufziehen, hä? Hier gibt es keine Paradiespforte mit Klingelschild ‚Nur für Dickhäuter, bitte laut und deutlich trompeten, Gott ist schon ein bisschen taub’!“ Bill bemühte sich, seine Worte mit einer schokofeinen Prise Sarkasmus zu würzen. Innerlich knirschte er mit den Zähnen. Äußerlich konnte das ja wohl nur ein Elefant. „Wenn wir länger hierbleiben, haben wir hier bald den größten Elefantenfriedhof, der jemals auf amerikanischem Boden existiert hat!“
Duke wandte den Kopf zu ihm. Seine Augen leuchteten in einem unnatürlichen Blau. Die Sonne, die inzwischen tiefer gesunken war, wurde von seinem Kopf verdeckt, so dass sich eine blattgoldfarbene Gloriole um seinen Stetson legte. Sein blondes Haar wurde von einer plötzlich aufflackernden Böe ottohaft umspielt. Fast schien es Weston, als sei der Himmelssohn persönlich mit seiner göttlichen Elefantenarmee auf die Erde herabgestiegen, um alles Übel zu zertrampeln (ja, zu zertrampeln!), auf dass aus den Ruinen eine neue, bessere Welt erwachsen würde. Dann wurde alles schlierig, schleimig, Hans Müllers Gesicht erschien ihm, es war grimm verzerrt und von einem schwarzen Rahmen eingefasst und trug das billige Theaterlachen eines Gründgenscher Mephisto. ((Schallendes Gelächter)). Schallendes Gelächter rollte als Pingpong-Ball zwischen seinen Ohren hin und her, bis er nur noch nicken konnte und in Richtung Elefantenpo abrutschte.
„Wir müssen nach Osten, immer weiter nach Osten“, kam es jetzt aus Duke Finnigans Gesichtsspalt herausgefallen. Sophia hob ihren schlanken Elefantenrüssel. Die Waffe hielt sie derweil im Maul. Ihre Rüsselöffnung schwang vor Dukes Ohr auf und ab. Als wolle sie ihm etwas zuflüstern. Das war doch Wahnsinn! Duke Finnigan hing schlaff auf ihrem Rücken und schien geistesabwesend zu nicken. Er drehte sich wieder herum. In seinen Augen hing jetzt ein grauer Schleier. Sie waren um Äonen gealtert. Er führte seine beiden Handrücken an sein Gesicht heran und drückte sie von links und rechts gegen seine Wangen. Die Zeigefinger aber stachen geradeaus, so dass es aussah, als habe er zwei winzige Stoßzähne im Gesicht. Auch zuckte er mit der Nase. War sie ihm schon zu kurz?
„Im Osten liegt die Heilung, mein Freund“, sagte der Duke, und seine Stimme war sanft und trompetete in den Höhen.
Wir müssen aber noch Norden! Nach Mammoth Lake, dachte Bill Weston. Soviel hatte er von der Karte noch in Erinnerung behalten, die ihm Duke Headshot kurz vor Beginn ihrer Reise gezeigt hatte. Bill wusste, dass er den Duke von seinen Plänen abbringen musste. Sonst konnte es sein, dass sie beide krepierten. Und mit ihnen 103 Elefanten. Was das für ein Gestank sein würde. Nicht auszudenken! Aber er hatte keine Waffe … Er würde zu dem subtilsten psychologischen Trick greifen müssen, zu dem er fähig war.
„Duke!“ Bills Stimme kam aus weiter Ferne. Headshot drehte den Kopf. Bill war halb vom Rücken seines Elefäntchens gerutscht und ließ die Zunge heraushängen wie ein Dackel in einem Ravioliwerbespot. „Duke, wir können uns jetzt keine Umwege leisten! Wir haben kein Wasser mehr!“ Theatralisch raffte sich Bill Weston auf und dreht seine Wasserflasche um, aus deren Schlund sich ein letzter, dürrer Tropfen quälte. Sophias tränenbesackte Augen blieben an dem Tropfen hängen.
Da! Aufzischte er, im Wüstensand verlöschend.
Jetzt hatte Bill die Aufmerksamkeit des Dukes wieder. Täuschten sie sich, oder war jetzt tatsächlich ein unruhiges Schnauben in der hundertköpfigen Elefantenherde zu vernehmen, die sich hinter ihnen staute? Schon schossen die ersten Rüssel in die Luft, wie hilfesuchende Arme auf einem Floss der Medusa, umgehen nicht vom kühlen Born lauterer Quellen, sondern vom harschen Biss des Salzwassermeeres. „Wir machen uns auf den Weg zum nächsten Wasserloch“, sagte Duke Headfinn mit der Stimme eines Mannes, der eine Entscheidung getroffen hat.
„Das nenne ich ein Wort“, rief Bill und, für sich: „Ich bin der Ayatollah aller Rock´n´Roller.“
Die Elefanten hatten sich vollgesogen, so dass sie wie Ballons am Ufer des kleinen Sees hin und her rollten, der ganz von Stechpalmen umwachsen war. Man musste ständig Angst haben, dass einer der Elis gegen eine Palme bollerte und mit einem lauten Knall zerplatzte.
Duke Headshot hatte seinen Stetson tief über die Augen gezogen und sich in eine Falte seine Sophia gekuschelt. Weston dagegen war immer noch unruhig. In Ordnung, dachte er bei sich, ich habe es geschafft, ihn fürs Erste vom Weg abzubringen. Aber viel Gewinn hatte er sich damit nicht verschafft, das wusste er. Sie waren zwar ein gutes Stück nach Norden abgebogen, aber das vor allem, weil die Elefanten mit wünschelrutenartig schwingenden Rüsseln zielsicher die nächste Wasserstelle angesteuert hatten.
Gerade, als Bill Weston sich einen besonders frauenfeindlichen Fluch ausdenken wollte, ertönte hinter ihm eine Stimme.
„Vielleicht kann ich helfen?“
Weston erstarrte. Dann wurde er butterweich. Dann erstarrte er wieder. So etwas hatte er ja noch nie gesehen. So etwas … Schönes in dieser … Hässlichkeit. Neben den Elefanten wirkte ihr Körper schmal und zerbrechlich wie eine Porzellannektarine. Wenn dass hier kein Engel war – ein Engel in einem schmutzigen roten Kostüm – ein Engel mit offensichtlich angemalten Wangen und aufgeklebten Wimpern – ein Engel, mit einer Laufmasche, so breit wie ein Schienbein – ein Engel, vor dessen Gesicht gerade die Blase eines farbleer gekauten Kaugummis zerplatzte – das war kein Engel.
Bill Weston nahm Haltung an.
„Was? Wer? Du?“ Das war das Beste, was Bill Weston gerade einfiel. Und zugleich das Erste. Also das Erstbeste. Sie lachte ein kehliges Lachen, das alle Zigarettenstummel dieser Erde inhaliert zu haben schien. Auf ihren etwas zu eckigen Wangen lag ein leichter bläulicher Schatten, wie bei Männern, die sich morgens nicht richtig rasieren.
„Was denkst du wohl, was ich bin?“, fragte sie. Dann begann sie zu summen. „Ich bin die fesche Lola, der Liebling der Saison! Ich hab' ein Pianola zu Haus' in mein' Salon“, summte sie und tänzelte um den zur Zuckersäule erstarrten Bill Weston herum. Sie schwang ihre drahtdünnen Beinchen in die Luft, aber immer so, dass der Bausch ihres roten Tüllröckchens mehr verriet als verbarg.
„Wie kommst du hierher?“, stotterte Bill.
„Wie kommen grob geschätzt drei Millionen Elefanten hier draußen hin?“, fragte sie zurück. „Die sind nicht zu übersehen.“ Sie streckte vorsichtig die Hand nach einem der Dickhäuter aus und stuppste ihn sanft an, so wie man in einen Medizinball sticht.
„Ich hab zuerst gefragt“, sagte Bill.
„Familienfeierlichkeit“, sagte sie nachlässig und fuhr dabei fort, ihre Hüften zu wiegen. „Meine Eltern sind gestorben. Ich musste hier rauskommen. Zu ihrer Beerdigung.“ Sie zeigte in eine Richtung jenseits der Elefanten, wo Bill Weston in einem kleinen schwarzen Punkt in der Ferne die Silhouette einer Hütte vermutete. Die Rüschen perlten um ihre Hüften wie eine Sahnehaube um eine Puddingfüllung.
„Da haben deine Eltern gewohnt?“, fragte er ungläubig. „Und wie hast du Kontakt zu ihnen gehalten?“
Sie lächelte ein Kinderschokoladenlächeln. „Sie haben mir jede Woche eine Postkarte geschrieben“, sagte sie. „So wusste ich, dass es ihnen gutging.“ „Und dann“, fragte Weston. „Dann kam eines Tages keine Postkarte mehr. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass der Postbote noch lebte, wusste ich, dass meine Eltern tot waren.“ „Oh“, sagte Bill. „Ich bin also hier rausgekommen, um sie zu begraben. Ich habe kein Pferd, und hier raus fährt auch keine Postkutsche. Da hab ich mich zu Fuß auf den Weg gemacht.“ Sie hielt den Kopf etwas gesenkt, während ihre Füße eine kleine Stepimprovisation hinlegten. „Jetzt bin ich auf dem Weg zurück in die Stadt. Ich arbeite da in einer kleinen Bar. Sie gehört Hans Mü …“
Der Rest des Satzes war nicht zu verstehen, weil etwas sehr laut knackte und rumpelte. Dann knackte und rumpelte noch viel mehr. Es waren die Knochen von 412 Elefantenbeinen, die sich aufrichteten, um ihren Circle of Life abzuschließen. Bill wusste, dass dieses Mädchen seine Chance war, den Duke zur Besinnung zu bringen.
„He, Kleine!“
Sie hatte sich herumgedreht und beobachtete mit offenem Mund das Schauspiel einhundertdreier sich synchron aufrichtender Elefanten.
„Wie heißt du?“
„Lalelu“, sagte sie und knickste ein wenig, wobei sie mädchenhaft kicherte.
„Sagt mal, Lalelu“, forschte er mit seiner seriösesten Stimme. „Gefalle ich dir? Irgendwie?“
Sie wusste sofort, worum es ging. Trotzdem nahm sie sich die Zeit, ihn abschätzig zu taxieren. „Kommt drauf an, wieviel von dir mir gefallen sollst …“, schnurrte sie, mit einer besonderen Betonung auf dem wieviel. Wie zufällig rieb sie dabei Daumen und Zeigefinger aneinander, als zerstäube sie ein besonders edles Gewürz.
„Und mein Freund da?“ Er zeigte auf Duke Headshot, der geade den Rücken seiner Sophia bestieg. Er hatte ihr ein Halsband aus Steppengras geflochten und es um ihren dicken, knotigen Hals gewrungen. „Gefällt dir mein Freund auch?“ Lalelu setzte wieder zu ihrem Satz an: „Kommt darauf an, für wieviel …“ Bill Weston winkte ab. „Geschenkt“, sagte er. „Ich gebe dir erstmal 50, wenn du Erfolg hast, bekommst du mehr.“ Sie sah ihn schnippisch an. „Was soll das heißen, wenn ich Erfolg habe.“ Sie wusste noch nicht, dass sie eine Konkurrentin hatte. „Bring ihn dazu, den Track wie geplant nach NORDEN zu führen“, flüsterte Bill, „Wir müssen unbedingt nach WASWEIßICHWO2-County kommen. Mit den Elefanten“, fügte er nachdrücklich hinzu.
„Ist das alles?“ Sie klang ein wenig enttäuscht. Doch Bill nickte nur knapp. Lalelu strich sich mit beiden Händen den Rocksaum glatt, so dass er fast ihre Knie bedeckt hätte, wenn sie gewollt hätte, und schritt dann raschen Blicks auf Sophia zu, die devot unter Duke Headshot Finnigan Jr. Platz genommen hatte.
Bill Wetson aber rieb sich die Hände und sah sich nach einer Waffe um.
© die Autoren
Duke strich sanft über die graue Kugel, die sich unter ihm hob und senkte. Er hatte noch nie etwas so Schönes gesehen. Wie eine riesige, graue Kugel Eis, dachte der Duke bei sich, halt nein, das war nicht ganz richtig! Sophia war anders (diesen Name hatte er ihr gegeben, als sie sich zum ersten Mal tief in die Augen blickten, hinab bis zum Grund ihrer verhornten Elefantenseele). Ihr Hinterkopf war zwar so süß und weich wie Sahneeis, dabei aber auch warm und fest. Wie – wie eine mit Gewebeproben gefüllte Luftmatratze. Genau so war es! Vorsichtig drückte er seinen tabakwunden Fingernagel in Sophias Nackenhaut. Er konnte spüren, wie sich ihre Muskeln unter den trabenden Schritte spannten und lockerten. Weich. Fest. Weich. Fest. Noch nie hatte er etwas Derartiges so aus der Nähe erlebt! Auch ihr aufdringlich-unaufdringlicher Geruch nach Pfefferminze, die man in Dung gewälzt hatte – mit einer Note Thorsten Schäfer-Gümbel – betäubte ihn, ganz und gar. Haarinseln standen schwarz und schweigend aus Sophias Hinterkopf, als wäre sie mit Stahlwolle gefüllt und nicht ganz dicht, dachte Duke Headshot Finnigan Jr. liebevoll liebestoll. Sanft strich er über ihren Igel-Iro. Als hätte man ihr Spinnenbeine in den Hinterkopf gesteckt. Er musste an die Schnurrhaare seiner ersten Katze denken. Und daran, wie sehr er Sophia liebte. Er würde die Zoomauern sprengen, eine Stall Orang-Utans erschießen und sämtliche Zoowärter vergewaltigen, um ihr ein behagliches Heim zu erkämpfen. Seine erste Katze hatte Duke Headshot übrigens an eine fahrenden Händlerin verschenkt: Sie hatte kratzige Feinripp-Unterwäsche an Einsiedler und Dummköpfe verkauft, und den noch jungen Duke – der zwar schon einen Mann getötet, aber den kleinen Tod noch nicht kannte – mit seinem ersten zweigeschlechtlichen Experiment und einigen erlesenen Untenrumkrankheiten bedachte. Er dachte gerne an sie zurück. Doch war es keine Liebe gewesen, damals, nur eine Katze, die Würmer hatte und ohnehin wegmusste. Und die Krätze. Die Liebe, die Liebe war jetzt. Sie war groß, haarig und sie war hier. Er spürte Sophias starken Körper zwischen seinen Schenkeln. Ihren breiten Knetgummihals. Dann hob er den Kopf, indes der Blick ihm wie ein Hund vorauslief, in Richtung Norden. Ihr gertenschlanker, biegsamer Rüssel schlenkerte vor ihm in die Mittagssonne hinein. Sie schien den Gluttropfen des geilen göttlichen Gestirns wie ein Diadem auf der Rüsselspitze zu balancieren. Für einen Mann, der gewöhnlich Whisky trank, Kellnerinnen in unerfreuliche Umstände bracht und Sheriffs durchlochte, hatte eine bemerkenswerte Veränderung mit Duke Headshot Finnigan Jr. stattgefunden.
Das hatte auch Bill Weston bemerkt.
Vor drei Stunden, kurz nach Sonnenaufgang, waren sie aufgebrochen. Bill rieb seine wunder Schulter, mit der er gestern auf der Flucht vor den Schüssen gegen einen Affenbrotbaum geprallt war. Ihm taten alle Knochen weh von den Ereignissen, die sich am Nachmittag zuvor zugetragen hatten. Aber er hatte überlebt. Und mit ihm diese 103 Elefanten. Von denen einer die besondere Aufmerksamkeit seines Kumpanen zu genießen schien.
Und Bill Weston konnte sein Maul nicht halten. Vielleicht nur, weil ihn der schnelle Sieg über Hans Müllers Elefantenbodyguards verdammt, verdammt übermütig gemacht hatte.
„Ein schönes Tier, dass du da hast, Duke“, sagte Bill. Er wies auf Sophia. Bill Weston hatte es, wie er sich eingestand, ebenfalls nicht auf dem Pferd gehalten. Er war auch auf einen Elefanten umgestiegen. Aus Bequemlichkeit, wie er murmelte. Weicheres Fleisch. Er ritt jetzt auf einem kleineren Elefantenbullen, der zwei abgebrochene, fauliggelbe Stoßzähne hatte, so wie man sich einen alten Inder vorstellte. Nur als Elefant.
Duke ließ sich nicht beirren, er streichelte nur weiter Sophias Hals. Er hatte ihr eine von seinen schwarzen Zigarren ins Rüsselende gesteckt, so dass sie nun zufrieden grauen Dampf durch ihren winzigen, rosafarbenen Mund entließ. Als nächstes beschmiert er sie mit Lippenstift, dachte Bill. Duke hatte auch seine Sporen abgenommen, um Sophia beim Reiten nicht versehentlich zu verletzen.
„Die Elefanten“, nahm Bill das Thema wieder auf. „Schade, dass ihre prächtigen Körper bald zwischen den Rotierwalzen der großen Fleischmaschinen von WASWEIßICHWO2-County zermahlen und zerquetscht und“, ihm fiel nichts mehr ein, „zermahlen werden.“
Er machte eine Pause.
„Wirklich jammerschade.“
Duke schwieg noch immer. War da ein Knisten in der Luft, oder verbrannte nur irgendwo eine Körnerherde Staub in der Sonnenglut?
„Ich würde ja gerne einen Elefanten mit nach Hause nehmen“, knüpfte Bill das Gespräch subtil weiter. „Für meinen Vorgarten. Um ihn zwischen die Gartenzwerge zu stellen.“
„Du hast doch überhaupt keinen Vorgarten“, knurrte Duke jetzt. „Ein Vorgarten ist ein Zeichen von Klasse. Du hast keine Klasse.“
Es stimmte: Bill Weston hatte keinen Vorgarten. Dafür war es eine Lüge, dass ein Vorgarten ein Zeichen von Klasse sei. Er war ein Zeichen von Niedertracht und Armut.
Wieder schwiegen beide. Die Wüste zog sich ganz schön. Vereinzelt hockte ein Geier auf einem Bäumchen, schon ganz verschrumpelt. Hier, mitten im Wasteland, stellten sogar die Aasfresser einander noch, damit sie überhaupt noch an Nahrung kamen. APRIL is the cruellest month, breeding / Lilacs out of the dead land, mixing / Memory and desire. Nirgendwo war auch nur ein Fliederblättchen zu sehen. Bill drehte den Hals in alle Richtungen, als mache er Bürogymnastik für fette Sekretärinnen. Das Lastentier unter seinen Schenkeln waberte wie Jelly. Wie lange würden es die stolzen Elefantentiere aushalten, ohne etwas zu trinken? Jetzt, wo er genauer hinsah, wirkten die Elefanten schon ganz eingeschrumpft, es hatten sich riesige Hautfalten unter den Armen und zwischen Beinen und Bauch gebildet. Oder war das normal? Bill Weston wusste es nicht. Wie hätte Hans Müller dieses Problem gelöst? Auch dass wusste Bill Weston nicht.
Er zeigte aufs Geradewohl in eine Richtung.
„Da drüben hab ich mal gearbeitet“, rief er mit fröhlicher Stimme zu Duke Headshot hinüber.
Duke antwortete nicht. Er war ganz in die Betrachtung der gemächlich watschelnden Elefantenkuh unter ihm versunken.
„Ja!“, fuhr Bill fort, als hätte Duke sich erkundigt, „als Holzfäller. Weißt du, warum?“
Bill merkte schon, dass sein Witz nicht funktionieren würde. Eisernes Schweigen von der Seite des Dukes. Bill Weston überlegte, ob er den Transport nicht alleine zu Ende bringen sollte. Dann würde er den Gewinn nicht teilen müssen … Was das nicht besser, als das Unternehmen mit einem halbirren, liebeskranken Zoophilen fortzuführen, er sie beide wahrscheinlich bei der nächsten Gelegenheit für ein sexy Streifenhörnchen mitsamt der Elefantenherde über die nächste Klippe stürzen würde? War es nicht besser, Duke jetzt, wo er abgelenkt war, schnell und gründlich aus dem Weg zu räumen? Er dachte an ihr erstes Zusammentreffen. Duke hätte genauso gehandelt. Die Elefanten schienen den Weg zu wissen. Sie würden sicher auch das Wasserproblem auf irgendeine Weise lösen, vielleicht, indem sie sich gegenseitig in die Rüssel …
Bill beschloss, auf Nummer Sicher zu gehen.
Er holte seinen Revolver aus dem Sattelgurt (Holster, Halfter) und murmelte etwas wie „Ich reinige dann mal meine Waffe, nicht?“ Er öffnete die Schusstrommel und popelte an den Patronen herum. Eine nahm er heraus und hielt sie gegen die Sonne, als müsse er überprüfen, dass sie kein Loch habe. Dann steckte er sie wieder in den Schusskranz, nahm eine andere heraus und wiederholte das Prozedere. Mit dem Daumen der linken Hand spannte er sehr, sehr langsam den Schusshahn. Jetzt hatte er einen besonders interessanten Kratzer an der Unterseite der Patrone gefunden, die er gerade hochhielt, den er unbedingt studieren musste. Langsam, langsam wanderte die Mündung seiner Waffe in Duke Headshots Richtung. Der mittlerweile damit beschäftigt war, den Hals seiner Elefantenlady – wie hatte er sie genannt, Sophia? – mit Melkfett einzureiben. Als nächstes würde er wohl versuchen, sich von ihr einen abmelken zu lassen. Widerlich. Sie würde er auch abknallen. Einfach, damit er sie nicht mehr sehen musste. Bill Weston dachte: Irgendwie würde er damit auch Hans Müller schaden, schließlich stellte er so sicher, dass die Elefantenherde dem größten Erzschwein von San Francisco nicht wieder in die Hände fiele. Ja, heute ist tatsächlich mein Glückstag!, dachte sich Bill Weston. Er spüre einen fröhlichen kleinen Rülpser aus seinem Magen herausgluckern. Duke Headshot Finnigan-Ole-Heinrich hatte angefangen, ein Kinderlied auf den Hinterkopf seiner Elefantendame herab zu summen. Er wirkte glücklich. Wäre das nicht ein passend? So zufrieden zu sterben? Sollte er ihm diesen Gefallen nicht gewähren? Der Lauf zeigte immer noch wie zufällig auf Duke, der Hahn war gespannt. Jetzt ließ Bill die letzte Kugel in die Trommel zurückgleiten und sich gleichzeitig ein wenig zurückfallen. „Ich sehe mal nach den Tieren weiter hinten“, rief er zu Duke hinüber.
Und hob den Kopf.
Das hätte er nicht tun sollen.
Denn wo er gerade noch einen versunken melkfettschmierenden Duke Headshot erwartet hatte, bleckte sich ihm nun das weit aufgerissene Mündungsauge dessen Revolvers entgegen.
Jetzt sprach der Duke wieder. „Denk nicht mal dran“, sprach er. Und dann: „Gib mir deine Waffe. So. Brav.“
Bill Weston stammelte noch etwas von Missverständnis, aber da hatte ihm Sophia schon das Schießeisen aus den feuchten Händen gezutzelt. Duke strich ihr über den Kopf und murmelte: Brav, brav. Stolz trug nun die Elefantin seinen, Bill Westons, Schussprügel vor sich her, auf Kopfhöhe eines erwachsenen Mannes noch vorne gestreckt.
„Wirklich, du beschämst mich“, knurrte Duke Headshot, ohne Bill anzusehen. „Wenn du dich nicht benimmst, dann erlaube ich Sophia, dich zu erschießen.“ In seiner Stimme war kein Humor zu hören. Auch Sophia machte nicht den Eindruck, als ob sie scherze. Im Gegenteil, sie nagte nur abwesend mit ihren riesigen, gelben Zähnen am Lauf des Schießeisens und saugte es dann, den Griff voran, in ihren Rüssel, bis nur noch der schmale, silberne Lauf vorne herausstand. Der ganze Rüssel, so schien es, war zu einer gigantischen Waffe geworden, zu einer elefantischen Panzerfaust.
Bill Weston wimmerte und sank auf seinem Kleinelefanten zusammen.
„Wir reiten nicht mehr nach WASWEIßICHWO2-County“, sagte Duke jetzt mit fester Stimme.
„Was?“, jammerte Bill Weston. Er hatte beschlossen, den Unterworfenen zu spielen, bis ihm etwas Besseres einfiel. „Aber das war doch unser Plan! Von Anfang an! Wir wollen doch das Geld von der Abdeckerei für die Viecher.“ Bill fühlte Panik in sich aufsteigen. „Bitte, Duke, nimm doch Vernunft an! Du brauchst doch die Kohle! Wozu haben wir den ganzen Scheiß hier denn überhaupt angestiftet?“
Der Duke schien ihn gar nicht zu beachten. Er starrte nur immerzu in den Himmel, als werde dort über seinem Kopf gleich das Antlitz des Allmächtigen aufscheinen. Vermutlich als indischer Elefantengott Ganesha mit shrimpsartig geringeltem Rüssel und einer Lotusblüte in drei von vier Händen.
„Verdammt noch mal, was hast du denn jetzt vor?“, schrie Bill. Er hatte sich auf seinem Elefanten aufgerichtet, so dass er jetzt gefährlich auf dem Rücken des Tieres balancierte. Die Füße hatte er in den Nacken des Tieres gestemmt, mit einer Hand hielt er die Reißleine fest, die an den Hörnern des krüpplichten Tieres angebunden war, mit der anderen fuhrwerkte er in der Luft herum.
„He! Schau mich mal an, Mann!“, reimte er unbeholfen. „Was soll der Zirkus?“
Da trafen ihn Duke Headshots kalte Augen ein zweites Mal. Wieder glomm darin eine bedenkliche Mischung aus Wahnsinn, Liebesblödigkeit und kalter Kalkulation. „Wir müssen einen neuen Platz für sie finden. Einen Ort, wo sie sein können.“ Er sprach das Wort Sein aus, als wäre es gut heideggersch großgeschrieben. Dann wurde seine Stimme sogar noch salbungsvoller. „Leben. Mehr als nur zu überleben. Leben. Das ist Ursprung und Ziel. Leben. Als kleiner Teil des großen Ganzen. Lebenswert zu sein.“
Die Worte kamen Bill Weston entfernt bekannt vor. Vielleicht ängstigten sie ihn deshalb.
„Wir sind hier mitten in der Wüste, Mann! Wo willst du hier das gelobte Land für Elefanten aufziehen, hä? Hier gibt es keine Paradiespforte mit Klingelschild ‚Nur für Dickhäuter, bitte laut und deutlich trompeten, Gott ist schon ein bisschen taub’!“ Bill bemühte sich, seine Worte mit einer schokofeinen Prise Sarkasmus zu würzen. Innerlich knirschte er mit den Zähnen. Äußerlich konnte das ja wohl nur ein Elefant. „Wenn wir länger hierbleiben, haben wir hier bald den größten Elefantenfriedhof, der jemals auf amerikanischem Boden existiert hat!“
Duke wandte den Kopf zu ihm. Seine Augen leuchteten in einem unnatürlichen Blau. Die Sonne, die inzwischen tiefer gesunken war, wurde von seinem Kopf verdeckt, so dass sich eine blattgoldfarbene Gloriole um seinen Stetson legte. Sein blondes Haar wurde von einer plötzlich aufflackernden Böe ottohaft umspielt. Fast schien es Weston, als sei der Himmelssohn persönlich mit seiner göttlichen Elefantenarmee auf die Erde herabgestiegen, um alles Übel zu zertrampeln (ja, zu zertrampeln!), auf dass aus den Ruinen eine neue, bessere Welt erwachsen würde. Dann wurde alles schlierig, schleimig, Hans Müllers Gesicht erschien ihm, es war grimm verzerrt und von einem schwarzen Rahmen eingefasst und trug das billige Theaterlachen eines Gründgenscher Mephisto. ((Schallendes Gelächter)). Schallendes Gelächter rollte als Pingpong-Ball zwischen seinen Ohren hin und her, bis er nur noch nicken konnte und in Richtung Elefantenpo abrutschte.
„Wir müssen nach Osten, immer weiter nach Osten“, kam es jetzt aus Duke Finnigans Gesichtsspalt herausgefallen. Sophia hob ihren schlanken Elefantenrüssel. Die Waffe hielt sie derweil im Maul. Ihre Rüsselöffnung schwang vor Dukes Ohr auf und ab. Als wolle sie ihm etwas zuflüstern. Das war doch Wahnsinn! Duke Finnigan hing schlaff auf ihrem Rücken und schien geistesabwesend zu nicken. Er drehte sich wieder herum. In seinen Augen hing jetzt ein grauer Schleier. Sie waren um Äonen gealtert. Er führte seine beiden Handrücken an sein Gesicht heran und drückte sie von links und rechts gegen seine Wangen. Die Zeigefinger aber stachen geradeaus, so dass es aussah, als habe er zwei winzige Stoßzähne im Gesicht. Auch zuckte er mit der Nase. War sie ihm schon zu kurz?
„Im Osten liegt die Heilung, mein Freund“, sagte der Duke, und seine Stimme war sanft und trompetete in den Höhen.
Wir müssen aber noch Norden! Nach Mammoth Lake, dachte Bill Weston. Soviel hatte er von der Karte noch in Erinnerung behalten, die ihm Duke Headshot kurz vor Beginn ihrer Reise gezeigt hatte. Bill wusste, dass er den Duke von seinen Plänen abbringen musste. Sonst konnte es sein, dass sie beide krepierten. Und mit ihnen 103 Elefanten. Was das für ein Gestank sein würde. Nicht auszudenken! Aber er hatte keine Waffe … Er würde zu dem subtilsten psychologischen Trick greifen müssen, zu dem er fähig war.
„Duke!“ Bills Stimme kam aus weiter Ferne. Headshot drehte den Kopf. Bill war halb vom Rücken seines Elefäntchens gerutscht und ließ die Zunge heraushängen wie ein Dackel in einem Ravioliwerbespot. „Duke, wir können uns jetzt keine Umwege leisten! Wir haben kein Wasser mehr!“ Theatralisch raffte sich Bill Weston auf und dreht seine Wasserflasche um, aus deren Schlund sich ein letzter, dürrer Tropfen quälte. Sophias tränenbesackte Augen blieben an dem Tropfen hängen.
Da! Aufzischte er, im Wüstensand verlöschend.
Jetzt hatte Bill die Aufmerksamkeit des Dukes wieder. Täuschten sie sich, oder war jetzt tatsächlich ein unruhiges Schnauben in der hundertköpfigen Elefantenherde zu vernehmen, die sich hinter ihnen staute? Schon schossen die ersten Rüssel in die Luft, wie hilfesuchende Arme auf einem Floss der Medusa, umgehen nicht vom kühlen Born lauterer Quellen, sondern vom harschen Biss des Salzwassermeeres. „Wir machen uns auf den Weg zum nächsten Wasserloch“, sagte Duke Headfinn mit der Stimme eines Mannes, der eine Entscheidung getroffen hat.
„Das nenne ich ein Wort“, rief Bill und, für sich: „Ich bin der Ayatollah aller Rock´n´Roller.“
Die Elefanten hatten sich vollgesogen, so dass sie wie Ballons am Ufer des kleinen Sees hin und her rollten, der ganz von Stechpalmen umwachsen war. Man musste ständig Angst haben, dass einer der Elis gegen eine Palme bollerte und mit einem lauten Knall zerplatzte.
Duke Headshot hatte seinen Stetson tief über die Augen gezogen und sich in eine Falte seine Sophia gekuschelt. Weston dagegen war immer noch unruhig. In Ordnung, dachte er bei sich, ich habe es geschafft, ihn fürs Erste vom Weg abzubringen. Aber viel Gewinn hatte er sich damit nicht verschafft, das wusste er. Sie waren zwar ein gutes Stück nach Norden abgebogen, aber das vor allem, weil die Elefanten mit wünschelrutenartig schwingenden Rüsseln zielsicher die nächste Wasserstelle angesteuert hatten.
Gerade, als Bill Weston sich einen besonders frauenfeindlichen Fluch ausdenken wollte, ertönte hinter ihm eine Stimme.
„Vielleicht kann ich helfen?“
Weston erstarrte. Dann wurde er butterweich. Dann erstarrte er wieder. So etwas hatte er ja noch nie gesehen. So etwas … Schönes in dieser … Hässlichkeit. Neben den Elefanten wirkte ihr Körper schmal und zerbrechlich wie eine Porzellannektarine. Wenn dass hier kein Engel war – ein Engel in einem schmutzigen roten Kostüm – ein Engel mit offensichtlich angemalten Wangen und aufgeklebten Wimpern – ein Engel, mit einer Laufmasche, so breit wie ein Schienbein – ein Engel, vor dessen Gesicht gerade die Blase eines farbleer gekauten Kaugummis zerplatzte – das war kein Engel.
Bill Weston nahm Haltung an.
„Was? Wer? Du?“ Das war das Beste, was Bill Weston gerade einfiel. Und zugleich das Erste. Also das Erstbeste. Sie lachte ein kehliges Lachen, das alle Zigarettenstummel dieser Erde inhaliert zu haben schien. Auf ihren etwas zu eckigen Wangen lag ein leichter bläulicher Schatten, wie bei Männern, die sich morgens nicht richtig rasieren.
„Was denkst du wohl, was ich bin?“, fragte sie. Dann begann sie zu summen. „Ich bin die fesche Lola, der Liebling der Saison! Ich hab' ein Pianola zu Haus' in mein' Salon“, summte sie und tänzelte um den zur Zuckersäule erstarrten Bill Weston herum. Sie schwang ihre drahtdünnen Beinchen in die Luft, aber immer so, dass der Bausch ihres roten Tüllröckchens mehr verriet als verbarg.
„Wie kommst du hierher?“, stotterte Bill.
„Wie kommen grob geschätzt drei Millionen Elefanten hier draußen hin?“, fragte sie zurück. „Die sind nicht zu übersehen.“ Sie streckte vorsichtig die Hand nach einem der Dickhäuter aus und stuppste ihn sanft an, so wie man in einen Medizinball sticht.
„Ich hab zuerst gefragt“, sagte Bill.
„Familienfeierlichkeit“, sagte sie nachlässig und fuhr dabei fort, ihre Hüften zu wiegen. „Meine Eltern sind gestorben. Ich musste hier rauskommen. Zu ihrer Beerdigung.“ Sie zeigte in eine Richtung jenseits der Elefanten, wo Bill Weston in einem kleinen schwarzen Punkt in der Ferne die Silhouette einer Hütte vermutete. Die Rüschen perlten um ihre Hüften wie eine Sahnehaube um eine Puddingfüllung.
„Da haben deine Eltern gewohnt?“, fragte er ungläubig. „Und wie hast du Kontakt zu ihnen gehalten?“
Sie lächelte ein Kinderschokoladenlächeln. „Sie haben mir jede Woche eine Postkarte geschrieben“, sagte sie. „So wusste ich, dass es ihnen gutging.“ „Und dann“, fragte Weston. „Dann kam eines Tages keine Postkarte mehr. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass der Postbote noch lebte, wusste ich, dass meine Eltern tot waren.“ „Oh“, sagte Bill. „Ich bin also hier rausgekommen, um sie zu begraben. Ich habe kein Pferd, und hier raus fährt auch keine Postkutsche. Da hab ich mich zu Fuß auf den Weg gemacht.“ Sie hielt den Kopf etwas gesenkt, während ihre Füße eine kleine Stepimprovisation hinlegten. „Jetzt bin ich auf dem Weg zurück in die Stadt. Ich arbeite da in einer kleinen Bar. Sie gehört Hans Mü …“
Der Rest des Satzes war nicht zu verstehen, weil etwas sehr laut knackte und rumpelte. Dann knackte und rumpelte noch viel mehr. Es waren die Knochen von 412 Elefantenbeinen, die sich aufrichteten, um ihren Circle of Life abzuschließen. Bill wusste, dass dieses Mädchen seine Chance war, den Duke zur Besinnung zu bringen.
„He, Kleine!“
Sie hatte sich herumgedreht und beobachtete mit offenem Mund das Schauspiel einhundertdreier sich synchron aufrichtender Elefanten.
„Wie heißt du?“
„Lalelu“, sagte sie und knickste ein wenig, wobei sie mädchenhaft kicherte.
„Sagt mal, Lalelu“, forschte er mit seiner seriösesten Stimme. „Gefalle ich dir? Irgendwie?“
Sie wusste sofort, worum es ging. Trotzdem nahm sie sich die Zeit, ihn abschätzig zu taxieren. „Kommt drauf an, wieviel von dir mir gefallen sollst …“, schnurrte sie, mit einer besonderen Betonung auf dem wieviel. Wie zufällig rieb sie dabei Daumen und Zeigefinger aneinander, als zerstäube sie ein besonders edles Gewürz.
„Und mein Freund da?“ Er zeigte auf Duke Headshot, der geade den Rücken seiner Sophia bestieg. Er hatte ihr ein Halsband aus Steppengras geflochten und es um ihren dicken, knotigen Hals gewrungen. „Gefällt dir mein Freund auch?“ Lalelu setzte wieder zu ihrem Satz an: „Kommt darauf an, für wieviel …“ Bill Weston winkte ab. „Geschenkt“, sagte er. „Ich gebe dir erstmal 50, wenn du Erfolg hast, bekommst du mehr.“ Sie sah ihn schnippisch an. „Was soll das heißen, wenn ich Erfolg habe.“ Sie wusste noch nicht, dass sie eine Konkurrentin hatte. „Bring ihn dazu, den Track wie geplant nach NORDEN zu führen“, flüsterte Bill, „Wir müssen unbedingt nach WASWEIßICHWO2-County kommen. Mit den Elefanten“, fügte er nachdrücklich hinzu.
„Ist das alles?“ Sie klang ein wenig enttäuscht. Doch Bill nickte nur knapp. Lalelu strich sich mit beiden Händen den Rocksaum glatt, so dass er fast ihre Knie bedeckt hätte, wenn sie gewollt hätte, und schritt dann raschen Blicks auf Sophia zu, die devot unter Duke Headshot Finnigan Jr. Platz genommen hatte.
Bill Wetson aber rieb sich die Hände und sah sich nach einer Waffe um.
© die Autoren
14. Jan, 12:55, L.W.






